Terrorismus:Die Saubermann-Strategie des IS

Seine Attentäter im Westen erscheinen oft als isolierte Einzelgänger. Nun packt ein Ex-IS-Mitglied aus: Dahinter könnten Verbindungsmänner stehen - die quasi nicht zu entdecken sind.

Von Markus C. Schulte von Drach

4000 junge Europäer sind bislang nach Syrien oder in den Irak gereist, um dort für den IS zu kämpfen, darunter mehr als 800 aus Deutschland. Von diesen sind etwa 250 inzwischen zurück in ihrer Heimat. Gegen die meisten wurden von der Bundesanwaltschaft oder in den Bundesländern Ermittlungsverfahren eingeleitet, einige wurden bereits zu Haftstrafen verurteilt. Doch es gibt die Sorge, dass weitere deutsche IS-Terroristen unerkannt nach Deutschland kommen könnten oder bereits hier sind, um Anschläge zu verüben.

Noteinsatz nach dem Attentat in einem Regionalzug bei Würzburg

Noteinsatz nach dem Attentat in einem Regionalzug bei Würzburg

(Foto: REUTERS)

Dass die Befürchtung gerechtfertigt sein dürfte, hat ein Rückkehrer, der 27-jährige Harry S., der New York Times bestätigt. S., der im Hochsicherheitsgefängnis in Bremen sitzt, war 2015 für mehrere Monate beim IS in Syrien. Dort, so sagte er der Zeitung, sei er schon kurz nach seiner Ankunft vom "Geheimdienst" des IS darüber aufgeklärt worden, dass es der Terrororganisation lieber wäre, wenn europäische IS-Anhänger nicht nach Syrien kämen, sondern daheim Anschläge verüben würden.

S. zufolge gibt es Hunderte Rückkehrer in Europa und in der Türkei, die nur auf entsprechende Befehle warten. Gerade in Deutschland allerdings seien es noch zu wenige, weshalb der IS gewollt habe, dass er selbst zurückkehrt.

"Einsamer Wolf" oder doch im Kontakt zum IS?

Darüber hinaus weist S. allerdings auf eine Gefahr hin, die von den Sicherheitsbehörden möglicherweise noch nicht richtig wahrgenommen wird. Ihm sei in Syrien gesagt worden, dass "Undercover-Operationen" in Europa besonders auf gerade erst zum Islam übergetretene Konvertiten setzten. Diese "Saubermänner" ohne bekannte Verbindung zu radikalen Gruppen stellten Kontakt zwischen potentiellen Attentätern und operativen Führungskräften des IS in Europa her und vermittelten Anweisungen und Informationen etwa zum Bau von Sprengstoffwesten.

Das bedeutet, Terroristen, die Anschläge als Einzeltäter verübt zu haben scheinen, könnten möglicherweise doch in engerer Verbindung zum IS gestanden haben. Zwar hat der Kommandeur des Geheimdienstes, IS-Sprecher Abu Muhammad al-Adnani, alle Anhänger der Organisation aufgerufen, Ungläubige überall und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu töten. Anschläge wie die von Nizza, Ansbach und Würzburg könnten Reaktionen isolierter Zellen und "Einsamer Wölfe" darauf gewesen sein. Aber nach den Angaben von Harry S. könnte hinter diesem Typ von Anschlägen doch mehr als eine Person stehen. So wurde beim Täter von Ansbach bekannt, dass er einen Chat-Partner hatte, der ihn beeinflusst haben könnte.

In Nordamerika hat der IS andere Probleme. Im Gegensatz zu Europa ist es dem ehemaligen IS-Kämpfer zufolge schwierig, amerikanische IS-Kämpfer von Syrien aus dorthin zu schleusen. Dort, so Harry S., setze der IS besonders auf die Propaganda in den sozialen Netzwerken. "Sie sagen sich, die Amerikaner sind dumm - sie haben liberale Waffengesetze. Sie sagen, wir können sie leicht radikalisieren, und wenn sie vorher nicht aufgefallen sind, können sie leicht Waffen kaufen. Dann brauchen wir keinen Kontaktmann, der Schusswaffen bereitstellt."

Harry S. hat bereits vor Monaten in Bremen mit dem Verfassungsschutz gesprochen; über seine Aussagen haben Süddeutsche Zeitung und der Spiegel berichtet. Dabei hatte er bereits mitgeteilt, dass der IS versucht, über eine Art externes Terrornetzwerk Angriffe in Europa zu organisieren oder zu initiieren. Die Anschläge von Paris im November und in Brüssel werden auf dieses Netzwerk zurückgeführt. Die Informationen von Harry S. und Berichte anderer IS-Rückkehrer ergeben nun das Bild eines Geheimdienstes namens "Emni", in dem Einheiten Angriffe in verschiedenen Regionen der Welt planen - in Asien, in der arabischen Welt und auch in Europa.

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