Thilo Sarrazin: Umstrittenes Buch:"Die Welt ist rund und du bist trotzdem ein Arschloch"

Showdown in Berlin: Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin stellt sein umstrittenes Buch vor. Die öffentliche Empörung erzürnt den Autor: Die Kritiker hätten entweder sein Buch nicht gelesen oder wären nicht auf der Höhe seiner Analyse. Beides mache sie nicht debattenfähig.

Thorsten Denkler, Berlin

Der Auftrieb an Kameraleuten, Fotografen und Journalisten ist selbst für Berliner Verhältnisse beachtlich. Bald zehn Minuten lang tauchen die Blitzlichter Thilo Sarrazin in gleißendes Licht. So viel Aufmerksamkeit kennt in der Regel nicht mal die Kanzlerin.

Sarrazin Thilo

Thilo Sarrazin, Bundesbank-Vorstand und SPD-Mitglied, hat ein umstrittenes Buch geschrieben. Bei der Vorstellung in Berlin ist das Interesse riesengroß und der 65-Jährige fühlt sich missverstanden.

(Foto: APN)

Als das Blitzlichtgewitter endlich abebbt, fällt einem Fotografen auf, dass Sarrazin ja sein Buch gar nicht in der Hand hält. Er borgt sich eines, drückt dem Bundesbank-Vorstand das bis auf die Schrift alarmrote Buch in die Hand, der daraufhin sein Werk pflichtschuldig in die Kameras hält. Die klackern umgehend von neuem los.

Als endlich alle sitzen, öffnet sich für Sarrazin der Blick auf einen völlig überfüllten Saal. Zufrieden nickend vermisst er den Raum, seine Augen blicken langsam von rechts nach links. Vor dem Eingang hat sich eine lange Schlange gebildet. Nicht alle konnten hinein. Auf der Straße vor der Bundespressekonferenz haben sich einige Dutzend Menschen zu einer Demonstration gegen Sarrazin zusammengefunden. Was den Grad der Aufmerksamkeit angeht, kann sich Sarrazin nicht beschweren.

Seit Wochen tobt in Deutschland eine Meinungsschlacht um ein Buch, das erst an diesem Montag veröffentlicht wird. Hier im Haus der Bundespressekonferenz, bei der Vorstellung von Deutschland schafft sich ab - wie wir unser Land aufs Spiel setzen findet diese Schlacht ihren physischen Höhepunkt. Sarrazin und seine schärfsten Kritiker in einem Raum.

In der zweiten Reihe, direkt vis à vis zum Autor, hat wie eine Drohung Michel Friedman Platz genommen. Der Rechtsanwalt und frühere Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland legt der Bundesbank nahe, Sarrazin endlich aus dem Vorstand zu werfen. Die Bundesbank distanziert sich zwar von den Äußerungen Sarrazins. Man werde unverzüglich ein Gespräch mit ihm suchen, teitl der sechsköpfige Vorstand wenige Stunden später mit. Auf einen Abwahlantrag will er aber vorerst verzichten.

Fragen, die sich selbst beantworten

Es sind Journalisten da, die sich die Finger wundgeschrieben haben mit Leitartikeln und Kommentaren zu dem Buch. Eine Radioreporterin will wissen, was ihn, Sarrazin, mit seinen Thesen eigentlich noch von einem Rassisten und Sozialdarwinisten unterscheide. Der Art der Frage nach hat sich die Reporterin diese Frage schon selbst beantwortet. Der Bundesbanker und ehemalige Berliner Finanzsenator lässt sich darauf nicht ein: "Wenn Sie mein Buch gelesen haben, werde ich Sie gerne zu einem Gespräch empfangen."

Der Volkswirt Sarrazin hat mit seinem 460-Seiten-Werk das getan, was er am besten kann: Statistiken auswerten. Das sollten, so Sarrazin, all jene wissen, die sich von seinen Thesen persönlich diffamiert und zurückgesetzt fühlen.

"Wenn ich Statistiken lese, dann sehe ich keine Menschen", sagt Sarrazin. Was mehr über ihn aussagt, als ihm lieb sein kann.

Was Sarrazin aus den Statistiken und wissenschaftlichen Studien herausliest, empört die Nation: Dass etwa alle Einwanderergruppen sich spätestens in der zweiten Generation in Deutschland integriert hätten, nur jene nicht, die muslimischen Glaubens seien. Oder dass sich die Forschung einig sei, dass 50 bis 80 Prozent der Intelligenz erblich bedingt sei, weshalb nicht alle Probleme mit Bildung allein zu lösen seien. Damit werde der allgemeine "Bildungsfetisch zu einer neuen Lebenslüge" gemacht.

Die alles mag er mit Fakten belegen können. Die Schlussfolgerung aber liest sich dennoch abenteuerlich: Seiner Überzeugung nach führe dies alles dazu, dass der deutsche - und damit der aus seiner Sicht nachweislich intelligentere Teil der Gesellschaft - langsam aber sicher aussterbe.

Sarrazin und seine eigene Wahrheit

Unglücklich dagegen ist wohl nur sein Hinweis, dass neueste Studien gemeinsame genetische Wurzeln der heute lebenden Juden belegt hätten. Ein heikler Punkt. Die Begriffe Juden und Gene in einem Satz zu nennen, das scheint in der Bundesrepubik nicht ohne Empörungsreflexe möglich zu sein. So jedenfalls sieht Sarrazin das. "Ich bin mit dem Begriff jüdischer Gene völlig unbefangen umgegangen, nämlich ganz normal. Das scheint mein Fehler gewesen zu sein."

Buchvorstellung 'Deutschland schafft sich ab'

Darum geht es: Eine Verlagsmitarbeiterin reicht einer Journalistin ein Exemplar des Buchs "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin.

(Foto: ddp)

Die SPD will unter anderem deshalb ein neues Parteiordnungsverfahren gegen Sarrazin anstrengen. Und es häufen sich die Forderungen an die Bundesbank, Sarrazin zu entlassen. Der sieht dem gelassen entgegen. Aus der Tatsache, dass die meisten Juden zum Teil identische Gene hätten, "ergibt sich weder eine positive noch eine negative Zuschreibung", sagt Sarrazin.

Die Vermutung, er hätte das mit einer negativen Zuschreibung verbunden, sei "völlig absurd". Ansonsten rät der 65-Jährige den Entscheidern, doch sein Buch auch mal zu lesen. Darin würden sie nichts finden können, was von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung nicht gedeckt wäre.

Der Kampf um seine eigene Wahrheit

Sarrazin ist im Auftrag der Wahrheit unterwegs. Der Wahrheit, wie sie sich aus seiner Sicht darstellt. Dazu gehört auch, diejenigen, die an der Brillanz seiner Analyse zweifeln, von der Diskussion auszuschließen. Das sagt er mehrfach. Es lohne sich nicht mit Menschen über sein Buch und seine Lösungsvorschläge zu reden, wenn sie seine Analyse und die daraus folgenden Wertungen nicht teilten.

Diese Lösungen sind recht schlicht: Keine Sozialleistungen mehr für Immigranten führten zu Integration durch Arbeit. Und: Einwanderungsregeln, die es nur noch Hochqualifizierten erlauben würden, ins Land zu kommen.

Dass solche Thesen etwa in den Niederlanden und in Belgien vor allem von Parteien am rechten Rand vertreten werden, stört Sarrazin nicht. Allerdings will er mit ihnen auch nicht in eine Ecke gestellt werden. Wenn er etwa behaupte, die Erde sei rund, und ein ihm nicht Wohlgesonnener behaupte das gleiche, dann stelle er sich nicht hin und behaupte, die Erde sei eckig.

Nein, das wäre auch nicht sein Stil. Seinem Stil entspricht, was er danach sagt: "Dann sage ich: Die Welt ist rund und du bist trotzdem ein Arschloch."

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