Tunesien: Der Clan von Leila Trabelsi:Hass auf das System der Gier

Tage der Abrechnung: Nach dem Sturz des Präsidenten richtet sich die Wut der Tunesier gegen seine Frau Leila Trabelsi. Ihr Clan plünderte das Land aus: Man hielt Tiger in Privatzoos und ließ Nachspeisen aus Frankreich einfliegen.

Matthias Kolb

Der Abgang von Leila Trabelsi passte zu ihrem bisherigen Leben. Bevor die 53-Jährige wie ihr Gatte, der geschasste Alleinherrscher Zine el Abidine Ben Ali, am vergangenen Freitag Tunesien verließ, fuhr sie zur Zentralbank und packte dort Goldbarren im Wert von 45 Millionen Euro zusammen. Dies meldet die französische Zeitung Le Monde unter Berufung auf Geheimdienstkreise.

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Ein Foto aus dem Herbst 2009 zeigt den damaligen tunesischen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali und seine Ehefrau Leila. Beide haben das Land mittlerweile verlassen.

(Foto: AFP)

Es ist eine Episode, die keinen der zehn Millionen Tunesier überraschen dürfte: Leila Trabelsi gilt in dem nordafrikanischen Land als "meistgehasste Person", die sich mit ihrer Familie schamlos bereichert hat - und gegen die sich der Volkszorn in den vergangenen Wochen im Besonderen richtete.

Die französische Autorin Catherine Graciet hat 2009 ein Buch über die "Regentin von Karthago" geschrieben, in dem sie den Aufstieg der gelernten Frisörin schildert. "Zuletzt war der Aufstand aber vorwiegend politisch motiviert: Er richtete sich gegen Ben Ali, seine Frau Leila Trabelsi und ihren Herrscherclan", sagte die Maghreb-Expertin dem Wiener Standard. Zuletzt habe sich Trabelsis Mann, Präsident Ben Ali, nur noch für Sicherheitsfragen interessiert, während sie sich mit ihren zehn Geschwistern und dem Rest der Verwandtschaft um die Wirtschaft kümmerte.

Laut Graciet hat Leila Trabelsi, über deren Beruf in Tunesien nie gesprochen werden durfte, Ben Ali gerüchteweise in einem Pariser Cabaret kennengelernt, als dieser Chef des tunesischen Geheimdienstes war. Der heute 74-Jährige hatte seinen Aufstieg befördert, indem er als junger Mann die Tochter eines Generals geheiratet hatte. Erst nachdem er sich 1987 unblutig an die Macht geputscht hatte, heiratete er fünf Jahre später seine Geliebte.

Liest man die Berichte aus Tunis, so klagen die Menschen vor allem über die Gier der kleptokratischen Familie. "Diebe von Karthago, haut ab!" sei auf viele Wände geschmiert worden. Die Menschen wissen genau, womit etwa Belhassem Trabelsi, der Bruder der Präsidentengattin, sein Geld verdient: Er kontrollierte neben vielen Großunternehmen die Banque de Tunisie.

Ein anderer aus dem Clan, Sharek El Materi, habe sich die Lizenzen für den Import von einer Reihe von Autos - Volkswagen, Audi, Porsche, Seat und Kia - gesichert. Auch Telefongesellschaften würden vom Clan des Ex-Präsidenten kontrolliert, diktierten die Tunesier ausländischen Reportern in die Blöcke.

Ein Name der Schande

Das System der Gier funktionierte jahrelang reibungslos: Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung konnte niemand "ein nennenswertes Unternehmen gründen, ohne die Familie Trabelsi mit zehn bis zwanzig Prozent zu beteiligen". Ähnlich sieht dies Catherine Graciet: "Wer in Tunesien ein Bauvorhaben von mehr als einer Million Euro hat, tut besser, einen Trabelsi zu kennen."

Schon 2009 hatte die Maghreb-Expertin erläutert, weshalb der Trabelsi-Clan so verhasst war: Das einfache Volk verachtete sie wegen ihrer Gier und die übrigen Geschäftsleute klagten darüber, dass sie nun für jedes Geschäft, das den Wert von 15.000 Euro überstieg, Schmiergelder zahlen mussten. Graciets Fazit lautete schon damals: "Der Name Trabelsi ist mit Schande befleckt."

Leben in Saus und Braus

Der immense Reichtum blieb auch den ausländischen Diplomaten nicht verborgen: Die Internetplattform Wikileaks veröffentlichte den Bericht des US-Botschafters Robert F. Godec aus dem Juli 2009 über ein Mittagessen bei Sharek El Materi, an dem auch die Ehefrauen teilnahmen. El Materi ist mit einer Tochter Leila Trabelsis verheiratet.

Tunesien: Der Clan von Leila Trabelsi: Wenn sich der Volkszorn entlädt: Ein Mann trägt Gegenstände aus dem Haus von Belhassen Trabelsi, dem verhassten Bruder der früheren Präsidentengattin. Es befindet sich in La Soukra.

Wenn sich der Volkszorn entlädt: Ein Mann trägt Gegenstände aus dem Haus von Belhassen Trabelsi, dem verhassten Bruder der früheren Präsidentengattin. Es befindet sich in La Soukra.

(Foto: AP)

Der Botschafter skizzierte in der Depesche den "exzessiven Luxus", in dem Ben Alis angeheiratete Familie lebe. Dies werde die Ressentiments gegen den Trabelsi-Clan verstärken. El Materi lebe in Hammamet in einer riesigen Villa, die modern eingerichtet und vorwiegend in Weiß gehalten sei. Es gebe mindestens ein Dutzend Hausangestellte, darunter einen Butler aus Bangladesch und ein Kindermädchen aus Südafrika.

Tiger im Käfig und Desserts aus Frankreich

Das Haus sei mit Fresken und antiken Skulpturen geschmückt, aus einem Löwenkopf fließe Wasser in den großen Swimmingpool. Die Nachspeisen des zwölfgängigen Essens seien aus Frankreich eingeflogen und es sei sogar Kiwisaft serviert worden, der sonst in Tunesien nicht erhältlich sei. Einen Absatz widmet Botschafter Godec dem Lieblingsspielzeug von El Materi: Es handelt sich um den Tiger Pascha, der täglich vier Hühner verspeist und in einem Käfig gehalten wird. Den Diplomaten erinnert die Szenerie an den Löwenkäfig, an denen sich Saddam Husseins Sohn Udai in Bagdad erfreute.

Viele dieser Depeschen sind auf der Website Tunileaks gesammelt. Inwieweit die Internet-Veröffentlichungen den Protest angeheizt haben, ist schwer zu beurteilen - das US-Fachmagazin Foreign Policy spricht von der "ersten Wikileaks-Revolution".

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich der Volkszorn am Wochenende vor allem an den Besitztümern des Clans entlud und mehrere Villen geplündert oder in Brand gesetzt wurden. Dies geschah etwa mit einem Haus Belhassen Trabelsis in La Soukra. Imed Trabelsi, der Lieblingsneffe der einstigen Präsidentengattin, wurde am Wochenende von Unbekannten erstochen. Imed Trabelsi war bis dahin Bürgermeister von La Goulette, einer Vorstadt von Tunis, in der ein lukrativer Frachthafen gebaut wird. Frankreich hatte vergeblich Imeds Auslieferung verlangt, weil er eine Yacht gestohlen haben soll.

Ein Pilot als Held

Belhassen Trabelsi wurde bereits am Freitag verhaftet, bevor er mit seinem Privatjet das Land verlassen konnte - der Pilot hatte sich geweigert, ihn zu transportieren.

Ein ähnlicher Vorfall hat Mohammed Ben Kilani zum Nationalhelden werden lassen. Dem Piloten sei am Freitagnachmittag die Starterlaubnis verweigert worden, weil noch fünf Passagiere zusteigen sollten. "Ich verstand sofort, dass es sich um die Präsidentenfamilie, die Familie Trabelsi handelte", erklärte der 37-Jährige.

Wie Stewardessen von Tunis Air berichteten, war es während der Präsidentschaft Ben Alis nicht selten, dass Angehörige und Mitglieder der Familie seiner Frau Leila Trabelsi im letzten Moment an Bord gingen. Ben Kilani begründete seinen Schritt mit den Worten: "Ich entschied mich, an dieser Expedition von Kriminellen nicht teilzunehmen. Wenn ich diese Familie mitnehme, werde ich mein Leben lang ein Verräter sein."

Leila Trabelsi, die sich über ihre Stiftung Basma auch gern als Wohltäterin inszenierte, hat es dennoch zu ihrem Ehemann nach Saudi-Arabien geschafft. Dort wird das Paar allerdings abgeschottet von der Öffentlichkeit leben und offenbar ist es ihnen auch verboten, sich politisch zu äußern. Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte Leila Trabelsi von Dubai aus, wo sie zunächst einen Zwischenstopp eingelegt hatte, den Gouverneur der tunesischen Zentralbank angewiesen, 400 Millionen Euro ins Emirat zu überweisen, was dieser nach Rücksprache mit Ben Ali auch getan habe.

Hinzu kommen noch 1,5 Tonnen Gold, die Leila Trabelsi das Leben in der Wüste sicher erträglich gestalten lassen - und die Episode mit den Goldbarren gibt auch einen Hinweis auf die Kraftverhältnisse innerhalb der Ehe. Laut Le Monde weigerte sich der Gouverneur der Zentralbank, das Edelmetall herauszugeben. Also zückte Leila Trabelsi ihr Mobiltelefon und rief Ben Ali an. Zunächst habe dieser sich geweigert, die Herausgabe der Barren zu fordern, doch schließlich setzte sich seine Frau durch. Auch diese Anekdote dürfte in Nordafrika kaum jemanden wundern.

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