Völkerrecht:Noch gibt es Hoffnung für Kants "ewigen Frieden"

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Illustration: Stefan Dimitrov

  • Erst war da der Traum vom ewigen Frieden der Völker. Dann kamen der Krieg im Irak, ein ohnmächtiges Weltstrafgericht und sich auflösende Bündnisse.
  • Trump bestätigt diesen Trend, erist geradezu ein Anti-Kant: Deals, Diktatoren, Folter und das Prinzip der Ungleichheit sind en Vogue.
  • Optimistisch für Kants Bild vom ewigen Frieden machen die US-Justiz, ein reformiertes Afrika und eine vereinigte EU.

Von Stefan Ulrich

In seiner Schrift "Zum ewigen Frieden" schrieb Immanuel Kant: "Das Recht der Menschen muss heilig gehalten werden, der herrschenden Gewalt mag es auch noch so große Aufopferung kosten." Der Philosoph aus Königsberg wäre wohl zufrieden gewesen mit der Entwicklung in den Jahren nach der Zeitenwende 1989/1990. Die Beziehungen unter den Staaten verdichteten sich immer mehr zu einer internationalen Ordnung, die, gestützt auf das Völkerrecht, den Krieg und die Tyrannei ächtete und die Menschenrechte schützte.

Nach dem Fall der Mauer schien der "Ewige Friede" greifbar - heute nicht mehr

Neue Abrüstungsverträge wurden geschlossen, ein internationaler Strafgerichtshof entstand, die Vereinten Nationen bekannten sich zu einer "Schutzverantwortung" für Menschen, die von unmenschlichen Regimes gepeinigt werden. Die Geschichte schien tatsächlich auf jenen ewigen Frieden zuzulaufen, den Kant als ihr immanentes Ziel betrachtete.

Doch schon bald kippte die Geschichte, für viele überraschend, in ihren üblichen Verlauf zurück. Das Völkerrecht, das den Frieden zwischen den Staaten zugunsten der Menschen sichern sollte, wurde von verschiedenen Seiten eklatant verletzt. Die USA und einige ihrer Verbündeten griffen den Irak an. Sie verschleppten Menschen aus anderen Staaten, ließen sie an geheimen Orten festhalten und folterten sie. Russland überfiel die Ukraine, um sie zu destabilisieren und ihr die Krim abzunehmen. Das Weltstrafgericht in Den Haag schaffte es nicht, Despoten wie den sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir zur Verantwortung zu ziehen. Und die Vereinten Nationen sahen weitgehend ohnmächtig zu, wie sich Syrien in ein Menschheits-Schlachthaus verwandelte.

Das Völkerrecht verteidigt nicht die Polizei, nur die Überzeugung

Etliche Staaten begannen in den vergangenen Jahren, sich aus internationalen Verpflichtungen und Bündnissen zu lösen und wieder auf ihre uneingeschränkte Souveränität zu pochen. Viele ihrer Bürger fordern heute genau das ein, indem sie bei Wahlen für nationalistische Parteien stimmen und multilateralen Organisationen wie der Europäischen Union den Rücken kehren. Dem Völkerrecht setzt diese Entwicklung heftig zu. Im Gegensatz zum innerstaatlichen Recht fehlen ihm mächtige Verbündete wie Polizei und Militär. Es wirkt vor allem durch Überzeugung, also dadurch, dass sich die Staaten mehr oder weniger freiwillig daran halten. Wird das Völkerrecht immer wieder folgenlos verletzt, so verändert es sich. Es erodiert und verliert seine Kraft im Kant'schen Sinne, dem Frieden zu dienen.

Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten ist da kein Fauxpas der Geschichte, sondern eine Bestätigung dieses destruktiven Trends. Sie verhalf einem Mann zur Macht, der geradezu als Anti-Kant beschrieben werden kann: Trump schließt lieber Deals von Fall zu Fall, anstatt sich an allgemeine Regeln zu halten. Er will internationale Verträge wie das Klimaabkommen von Paris oder den Atom-Vertrag mit Iran aufkündigen.

Deals statt Bündnisse: "America First" statt "United Nations"

Er stellt Bündnisverpflichtungen wie die Beistandsklausel der Nato infrage. Er attackiert die EU, das herausragende Modell des Multilateralismus. Er zeigt kein Interesse, sich zum Schutz der Menschenrechte in anderen Staaten einzusetzen. Er akzeptiert die völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen im Westjordanland. Er lobt die vom Völkerrecht strikt verbotene Folter. Er fraternisiert mit Diktatoren wie Wladimir Putin. Und er knallt dem Prinzip der Gleichheit der Staaten sein "America first" entgegen.

Diese Abkehr von einer liberalen, auf Zusammenarbeit setzenden internationalen Politik wiegt dreifach schwer. Sie geht erstens von einem Land, den USA, aus, das sich bisher, zumindest verbal, für das Kant'sche Modell starkmachte. Dieses Land ist zweitens das mächtigste Land der Welt. Und es bestätigt drittens andere Mächte wie China und Russland, die sich ebenfalls völkerrechtlichen Verpflichtungen entziehen. Diese Entwicklung ist in vollem Gange. So schüttet China künstliche Inseln im Südchinesischen Meer auf, das es - im Widerspruch zum Völkerrecht - größtenteils für sich beansprucht. Russland wiederum machte sich als Verbündeter des syrischen Diktators Baschar al-Assad schwerster Verbrechen an der Zivilbevölkerung schuldig, etwa in der Stadt Aleppo. Diese Negativbeispiele werden Schule machen. Denn sie lehren die Welt, dass das Völkerrecht nackter Gewalt weicht.

Der Maßstab: Trump macht vor und die andern machen nach - mit Gewalt und leise

Daneben vollzieht sich eine Zersetzung der internationalen Ordnung mit friedlichen Mitteln: Die Briten stimmten für den Austritt aus der EU. Premierministerin Theresa May erwägt, die Europäische Menschenrechtskonvention aufzukündigen, deren Pionier Großbritannien war. Die Regierungen Polens und Ungarns errichten, unter Verstoß gegen ihre EU-Verpflichtungen, illiberale Demokratien. Und einige Staaten Afrikas, das zu den Vorkämpfern des Internationalen Strafgerichtshofs gehört hatte, attackieren das Tribunal nun vehement, oder sind bereits ausgetreten.

Dies alles erschüttert besonders diejenigen, die ihre Arbeit dem Völkerrecht widmen - die Völkerrechtler. Ihr optimistischer, manchmal euphorischer Schwung der Neunzigerjahre ist verebbt. "Wir befinden uns wahrscheinlich bereits in einer Post-Menschenrechts-Ära", konstatiert beispielsweise Ingrid Wuerth, eine Völkerrechts-Professorin an der amerikanischen Vanderbilt Universität. Ihre Kollegin Heike Krieger von der Freien Universität Berlin beklagt eine "Krise des Völkerrechts von ungewöhnlichem Ausmaß". Und der Münchner Juraprofessor Bruno Simma sagt: "Die Kant'sche Ära schließt sich. Wir stehen einer viel wilder und rauer gewordenen Wirklichkeit gegenüber."

Simma ist ein Doyen des deutschen Völkerrechts. Er lehrte zu beiden Seiten des Atlantiks und war zehn Jahre lang Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, dem höchsten Gericht der Weltgemeinschaft. "Die Hoffnungen nach dem Zusammenbruch des Kommunismus sind verflogen", bedauert er. Die Entwicklung sei bedrohlich.

Optimistisch machen die amerikanischen Juristen, Afrika - und die EU

"Meine Kollegen in den USA sind genauso erschüttert wie wir." Dennoch gebe es auch Grund zur Zuversicht. "Die Vereinigten Staaten verfügen über eine sehr gut ausgebildete Rechtskultur. Juristen spielen dort eine große Rolle." Das zahle sich nun in der Auseinandersetzung mit Donald Trump aus. "Da stehen Richter auf und sagen: So geht das nicht. Auch Kai Ambos, ein Göttinger Völkerstrafrechtler und Richter am Haager Sondertribunal für Kosovo, sieht die Lage nicht nur schwarz. So täusche der Eindruck, dass sich die Mehrheit der afrikanischen Staaten vom Internationalen Strafgerichtshof zurückziehe. "Sie möchten das Tribunal vielmehr reformieren und sich dort noch stärker engagieren."

In der Staatenwelt habe das Weltstrafgericht viel mehr Einfluss, als in Europa wahrgenommen werde. So wirke es entscheidend am Friedensprozess in Kolumbien mit. Allgemeine Amnestien nach massenhaften Menschenrechtsverletzungen seien heute kaum mehr durchsetzbar. Auch den Einsatz der westafrikanischen Staaten für einen demokratischen Machtwechsel Anfang des Jahres in Gambia wertet der Völkerstrafrechtler als gutes Zeichen.

Um den Multilateralismus zu verteidigen, solle sich die Europäische Union künftig stärker mit Kanada und den Staaten Lateinamerikas verbünden, fordert Ambos. Ähnlich sieht das Simma: "Meine Hoffnung ist, dass die EU jetzt enger zusammenrückt."

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