Zwangsprostitution:Der Skandal hinter der Affäre

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Als Folge des Falles Friedman müsste ein echtes Drama ins Licht der Öffentlichkeit rücken: die florierende Zwangsprostitution

Cathrin Kahlweit

(SZ vom 25.6.2003) - Vielleicht wird die Aufregung um eine Liste von Telefonanschlüssen im Bundestag, von denen aus nach jüngsten Zeitungsmeldungen illegal nach Deutschland geschleuste Prostituierte angerufen worden sein sollen, zuletzt ein Gutes haben: Sollten sich die in Rede stehenden Vorwürfe bewahrheiten, sollten Abgeordnete oder ihre Mitarbeiter in einem Verfahren gegen Menschenhändler vernommen werden, dann würde die deutsche Medienlandschaft sich wochenlang mit nichts anderem befassen.

Die entsprechenden Berichte würden auch im osteuropäischen Ausland wahrgenommen; dort könnten sie, womöglich, dazu beitragen, dass weniger ahnungslose Mädchen sich von Schlepperbanden anwerben lassen. Dies nämlich ist der eigentliche Skandal in der Folge der Affäre Friedman, der durch die aktuelle Berichterstattung teilweise überdeckt wird: dass Zwangsprostituierte in Deutschland Millionen von Kunden haben.

Die Sensibilisierung der osteuropäischen Öffentlichkeit ist ein präventives Mittel zur Bekämpfung der illegalen Prostitution - das ist zumindest das Ergebnis einer an der Universität Konstanz zum Thema "Frauenhandel - Menschenhandel - Organisierte Kriminalität" publizierten Arbeit über die Bedeutung des Zeugenschutzes.

Die Zahlen sind erschreckend und sagen doch wenig über das eigentliche Problem aus: Mindestens 500000 Frauen und Kinder werden jährlich in die EU verschleppt und dort sexuell ausgebeutet, die Mehrheit ist zwischen 18 und 25 Jahre alt. 80 Prozent der Opfer stammen aus Mittel- und Osteuropa, der geschätzte Gewinn der Schlepperbanden beträgt bis zu dreizehn Milliarden Dollar pro anno.

Keine Rede von freiwilligem Sex

Auch wenn viele Mädchen ahnen, wofür sie angeheuert werden, wissen doch die wenigsten, wie hart ihr Schicksal tatsächlich wird: ohne Pass, unter ständiger Beobachtung, oft vergewaltigt oder mit dem Tode bedroht, kann von freiwilligem Sex auf Seiten vieler Prostituierter keine Rede sein.

Der aber gilt im aufgeklärten Deutschland, zu Recht, als Grundvoraussetzung für den Handel mit Liebesdiensten - moralisch jedenfalls, denn juristisch gähnt in dieser Frage ein großes Loch: Sex mit Prostituierten, die sich illegal und womöglich gegen ihren Willen in Deutschland aufhalten, ist nicht strafbar.

Die Europäische Union ist zwar bemüht, das Problem zu bekämpfen: Mit den Programmen "Daphne" und "STOP" werden Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder finanziert. Das Zusatzprotokoll über Menschenhandel zur UN-Konvention gegen das organisierte Verbrechen kündigt Opfern von Zwangsprostitution eine Aufenthaltserlaubnis an.

Doch nur 80 Staaten haben das Zusatzprotokoll unterschrieben, und in der EU garantieren bislang allein Belgien und Italien den Opfern von Schlepperbanden eine Aufenthaltsgenehmigung. Die aber könnte langfristig in Europa viel zum Kampf gegen Frauenhandel beitragen - denn Gerichte sind in Verfahren gegen Menschenhändler vorwiegend auf die Zeugenaussagen von Opfern angewiesen, um Tatnachweise zu erbringen.

Bekämpfung daheim beginnen

Diese wiederum sagen eher aus, wenn sie nicht Gefahr laufen, umgehend abgeschoben zu werden. Opfer- und Zeugenschutzprogramme können ein Übriges tun, damit die Zeuginnen, die gleichzeitig Opfer sind, gegen ihre Peiniger aussagen.

Frauen- und Hilfsorganisationen für Zwangsprostituierte rufen seit langem dazu auf, die Bekämpfung des Frauenhandels daheim zu beginnen: Rund eine Million Männer nehmen schätzungsweise täglich in Deutschland den Dienst einer Prostituierten in Anspruch.

Ethische Komponente

Es liege an den Männern selbst, sagt etwa die Ordensschwester Lea Ackermann von der Hilfsorganisation Solwodi, nicht zu Prostituierten zu gehen, die mutmaßlich illegal und unfreiwillig ihrer Arbeit nachgehen.

Was also derzeit, sollten sich die letzten Meldungen bestätigen, nach einem möglichen Skandal rund um den Bundestag aussieht, hätte dann vor allem eine ethische Komponente: Wer Gesetze gegen Frauenhandel macht, darf nicht selbst zu eben jenen Frauen gehen, die durch diese Gesetze geschützt werden sollen.

Das wäre dann ein Politikum ersten Grades. Noch aber ist nichts bewiesen. Und wie im Falle Michel Friedman gilt auch hier bis zum Beweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung.

(sueddeutsche.de)

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