Confed Cup:DFB-Elf macht es ungewollt spannend

Von Philipp Selldorf, Sotschi

Es war einiges los rund um das Stadion im Stadtteil Adler im Ferienort Sotschi an der russischen Riviera. Männer, Frauen und viele, viele Kinder bevölkerten die Promenade am Strand, und es herrschte genau die Atmosphäre, die sich die Fußballverbände und die Veranstalter von Fußballspielen immer wünschen: Friedlich, entspannt und familiär ging es zu; keine Bierleichen am Wegesrand, kein hohles Grölen, und schon gar keine aggressiven Fan-Rivalitäten (was in Anbetracht der zahlreichen Polizisten auch nicht empfehlenswert war).

Das Problem war bloß, dass all die Männer, Frauen und Kinder keine Anstalten unternahmen, den Zebrastreifen zu überqueren und das Fisht-Stadion zu betreten, in dem gleich die Abordnungen des Weltmeisters Deutschland und des Asienmeisters Australien eine Partie im Confed Cup bestreiten würden. Die russischen Familien zogen es stattdessen vor, ihren Strandspaziergang fortzusetzen.

So war die Besuchergemeinde, die den deutschen 3:2-Sieg an Ort und Stelle verfolgte, am Ende doch einigermaßen übersichtlich. Man muss sich nicht die Mühe machen, die Zuschauer zu zählen, aber man hätte es zumindest am Anfang des Spiels tun können. Laut womöglich großzügiger Fifa-Zählung kamen 28 605 Gäste, aber diejenigen, die die Drehtüren passiert hatten, dürften es immerhin nicht bereut haben. Sie sahen ein Spiel, das die Deutschen deutlich beherrschten und sehr verdient gewannen, das aber dennoch nicht langweilig wurde, weil es die Deutschen selbst immer wieder spannend machten. Den eher ehrfürchtig mitspielenden Australiern schenkten sie immer dann ein Tor, wenn sich die Partie in Einseitigkeit einzurichten schien.

Löw lobt seine junge Mannschaft

Torwart Bernd Leno gab sich dabei besonders großzügig, er erwischte zur Turnierpremiere einen eher schlimmen Tag und wird sich vorerst wohl mit der Rolle des zweiten bis dritten Hinterbänklers bescheiden müssen - zumal Joachim Löw auf der Torwartposition in Abwesenheit des unumstrittenen Manuel Neuer ja ohnehin ein paar Wechselspiele plant. So könnte am Donnerstag gegen den Mitfavoriten Chile bereits wieder Marc-André ter Stegen zum Einsatz kommen. Überschwänglichen Jubels über den Sieg gegen die Australier enthielten sich am Ende aber auch Bernd Lenos Mitspieler - sie hatten womöglich ein schlechtes Gewissen, weil es gegen einen ziemlich schwachen Gegner bis zum Schluss eng blieb.

"In der ersten Halbzeit haben wir sehr, sehr gut gespielt, sehr gute Möglichkeiten herauskombiniert und viel in die Laufwege investiert", lobte Bundestrainer Löw später. Er fand es verständlicherweise "schade, dass wir nur 2:1 geführt haben". Nach einer Stunde habe seine Elf etwas "den Faden verloren, aber für viele war es ja das erste Spiel überhaupt in so einem Turnier". Und Julian Draxler gab in seinem Fazit sogar den fordernden Kapitän: Die Schwächeperiode in der zweiten Halbzeit "darf uns nicht passieren", meinte er, gegen Chile müsse man sich steigern.

DFB-Elf startet mit Dreierkette

Als der Stadionsprecher eine halbe Stunde vor dem Anstoß die Aufstellungen bekanntgab, herrschte im Stadion eine meditative Stille wie im japanischen Zen-Garten. Aus den Boxen tönten die Spielernamen, von den Rängen tönte: nichts. Sehr trauriges Bild am Rande: Wie die Dame vom Hospitality-Dienst in ihrer schicken Hostessen-Uniform einsam in der Beton-Landschaft herumstand und auf die Vips wartete, die nicht kamen.

Joachim Löw hatte fast die Aufstellung gewählt, die erwartet worden war, mit dem feinen Unterschied, dass meist nicht eine Dreierkette die Abwehr bildete, sondern eine Viererformation mit Joshua Kimmich und Jonas Hector außen sowie Antonio Rüdiger und Shkodran Mustafi im Zentrum. So hatte Löw die Voraussetzungen für ein eher klassisches Flügelspiel geschaffen, das vornehmlich Julian Draxler auf der linken und Julian Brandt auf der rechten Seite verantworteten. Sandro Wagner in der Angriffsmitte und Lars Stindl in seiner Umgebung bildeten die Spitzen.

Stindl hat unverschämt viel Platz

Nachdem die Deutschen zu Beginn ein paar zögerliche Passagen absolviert hatten, aktivierten sie bald den Angriffsdrang und hatten damit bei der ersten Gelegenheit Erfolg: Leon Goretzka schickte Brandt auf den rechten Flügel, der unverschämt viel Platz hatte, seinen Gegenspieler abschüttelte wie eine Fliege und sich zügig in Richtung Grundlinie fortbewegte. Mit einem Flachpass fand Brandt den wartenden Stindl, der ebenfalls unverschämt viel Platz hatte und den Ball locker mit der Seite ins Tor schoss. Es war eine technisch einwandfreie Vorführung.

Dass Löw sich nach gut 20 Minuten auf seinen Bankplatz zurückzog, war ein Zeichen. Entweder nimmt Löw Platz, weil ihn die Kalamitäten seiner Mannschaft überfordern oder weil die Sache wie von selbst läuft. Diesmal schien Letzteres der Fall zu sein. Das deutsche Spiel lief, und meistens war Goretzka beteiligt, der enormen Offensivdrang zeigte. Da gab er von rechts eine Flanke auf Wagner herein, dort lief er in die Spitze, um selbst zu vollenden. Nach einer Weile kam dann auch der zunächst noch etwas zurückhaltende Draxler besser ins Spiel und verlieh der deutschen Dominanz noch etwas mehr Gewicht.

Aber bevor die Sache nun allzu monoton wurde, garnierte die deutsche Deckung das Geschehen mit zwei Fehlern, die den eingeschüchterten Australiern aus der Lethargie half. Tommy Rogic gelang in der 39. Minute der Ausgleich, indem er Doppelpass mit Mustafi spielte: Erst traf der Angreifer von Celtic Glasgow mit einem verunglückten Schussversuch den Rücken des DFB-Verteidigers, dann versenkte er den Abpraller im Netz; Leno machte dabei nicht den geschmeidigsten Eindruck.

Draxler trifft per Elfmeter

Die Irritationen über die unerwartete Wendung währten aber nicht lang. Stindls Doppelpass mit Goretzka bescherte der DFB-Elf kaum drei Minuten nach dem Ausgleich einen Elfmeter, den kein Videoreferee auf der Welt in Zweifel gezogen hätte. Draxler behielt die Ruhe und stellte die Führung wieder her.

Die zweite Hälfte war noch jung, da unterstrich Leon Goretzka seine Ambitionen auf den Titel "Man of the Match", indem er cool das 3:1 erzielte. Jetzt sei die Sache wohl klar, dachte man, doch dann kam wieder der nervöse Leno ins Spiel. Einen Ball, den er schon sicher zu haben schien, ließ er wieder davonspringen, und Juric schoss das 2:3.

Der Videoschiedsrichter schritt wegen eines möglichen Handspiels prüfend ein, genehmigte das Tor aber. "Es ist für uns alle etwas ungewohnt, wenn der Schiedsrichter das Spiel für ein, zwei Minuten unterbricht", sagte Löw später, bislang habe sich der Videobeweis aber "bewährt". Löw reagierte auf das Gegentor mit einigen Umbauten, er stellte nun eine Dreierkette mit Niklas Süle in die letzte Linie und brachte für Wagner den Konterstürmer Timo Werner. Dessen flinke Läufe bildeten die wenigen Höhepunkte, die ein zunehmend erschöpft wirkendes DFB-Team nun noch zustande brachte. So sah, was wie ein lustiges Feuerwerk begonnen hatte, am Ende fast wie mühsame Pflichterfüllung aus. Und "Man of the Match", übrigens, wurde dann doch nicht Goretzka. Sondern Julian Draxler, sein fordernder Kapitän.

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