Fußball-WM: Spanien gewinnt Finale:Tanz in die Nacht

In einem überharten, unschönen und doch spannenden Finale zwischen Spanien und Holland schießt Andrés Iniesta den Europameister vier Minuten vor dem Ende der Verlängerung zum ersten WM-Titel.

Christian Zaschke, Johannesburg

Carles Puyol lief auf die Eckfahne zu, der spanische Verteidiger war außer sich vor Freude, die lange Mähne umflatterte seinen Kopf, Puyol, er lief und schaute und dann versetzte er der Fahne einen Tritt, nach dem sie heute noch und für alle Zeiten wackelt. Eben hatte Andres Iniesta nach Zuspiel von Cesc Fabregas das 1:0 für Spanien im WM-Finale gegen die Niederlande erzielt, es war die 116. Minute, der Titel war nah. Torwart Iker Casillas hielt sich die Hände vors Gesicht, er weinte, das war auf den Bildschirmen in Johannesburgs Soccer City zu sehen. Vier Minuten noch, es waren vier Minuten, in denen nichts mehr geschah, dann pfiff Schiedsrichter Howard Webb die Begegnung ab, und Spanien tanzte in die Nacht.

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Andrés Iniesta trifft in der 115. Minute zum 1:0 für Spanien.

(Foto: afp)

Mit diesem Sieg hat die goldene Generation des spanischen Fußballs jedes Versprechen gehalten, das sie mit ihrem oft so fantastischen Spiel gegeben hat. Erstmals hat das Land den WM-Titel gewonnen, es ist jetzt Welt- und Europameister zugleich, was zuletzt den Deutschen mit den Siegen von 1972 und 1974 gelungen war. Der Sieg Spaniens bedeutet, dass die beste Mannschaft das Turnier gewonnen hat; die Mannschaft, die Fußball am ehesten als Spiel verstand, das es zu gestalten gilt. Die unterlegenen Niederländer haben das Finale auch deshalb verloren, weil sie einen überraschend destruktiven Ansatz gewählt hatten.

Es war ein hartes Finale, und es lag an der erstaunlichen Milde des englischen Schiedsrichters Webb, dass bis auf John Heitinga, der in der 109. Minute die gelb-rote Karte sah, alle Spieler bis zum Ende dabei sein durften. Mark van Bommel hatte in der ersten Halbzeit Iniesta von hinten umgesenst und durfte sich glücklich schätzen, dafür lediglich mit der gelben Karte verwarnt zu werden (22. Minute); Nigel de Jong hätte sechs Minuten später Rot sehen müssen, als er Xabi Alonso mit einem Karate-Tritt auf die Brust niederstreckte (die Prüfung zum orangenen Gürtel hätte er locker bestanden). Wesley Sneijder fällte kurz vor Ende der ersten Hälfte Sergio Busquets um kam gar mit einer Ermahnung davon.

Die Niederländer hatten offensichtlich die Niederlage der Deutschen gegen Spanien genauestens studiert und den Schluss gezogen: Wenn wir ebenso körperlos zu Werke gehen, werden wir ebenso unterliegen. Also gingen sie hart zu Werke, was die Spanier ihrerseits mit dosierter Härte beantworteten, weniger allerdings, so schien es, um des Effektes willen, als vielmehr um den Niederländern zu zeigen: Wir können auch das, wenn wir wollen; wir können nämlich prinzipiell alles. Einmal übertrieben sie es allerdings und hatten ihrerseits Glück: In der 78. Minute ließ sich Iniesta zu einem Revanchefoul an Mark van Bommel hinreißen, das Webb ebenfalls nur mit einer Ermahnung ahndete.

Auch Fehler im Repertoire

Zum unendlichen Repertoire der spanischen Mannschaft gehört selbstverständlich der gefährliche Freistoß, Xavi ist ein Meister dieser Disziplin. Bereits nach fünf Minuten zirkelte er den Ball in Strafraum, Sergio Ramos' Kopfball konnte Torwart Maarten Stekelenburg nur mit Mühe abwehren. Und da das Repertoire tatsächlich unendlich ist, zeigten die Spanier, dass sie auch in der Lage sind, Fehler zu begehen, die das Publikum raunen lassen. Xabi Alonso zum Beispiel gelang ein Querpass vor der Abwehr, wie man ihn auch in der Kreisliga selten sieht, Ramos brachte Carles Puyol mit einem Einwurf in arge Bedrängnis. Diese Szenen zeigten: Auch die spanischen Zauberfußballer sind Menschen; sie waren nervös.

Netherlands' Arjen Robben misses a scoring chance during their 2010 World Cup final soccer match at Soccer City stadium

Arjen Robben mit der Chance zur Führung für Holland - er scheitert an Iker Casillas.

(Foto: rtr)

Es ist vermutlich schlicht unmöglich, in einem WM-Finale zumindest zu Beginn nicht nervös zu sein. Kurz bevor sie das Feld betreten hatten, waren die Spieler noch in ihrer Konzentration gestört worden, weil ein Mann von Sicherheitskräften durch den Tunnel getragen wurde; er hatte versucht, den WM-Pokal für ein munteres Ründchen zu entführen. Vermutlich haben die Spieler auch mitbekommen, was etwas früher im Stadion los war, als der frühere Präsident Nelson Mandela einmal über den Rasen gefahren wurde. Der 91 Jahre alte Mandela winkte freundlich, am Ende der Runde musste er Fifa-Chef Sepp Blatter die Hand schütteln, der mit zunehmendem Alter auf verblüffende Weise immer mehr einem Gegenspieler der Comic-Figur Batman gleicht - dem Pinguin.

Flehender Blick in die Ferne

Mandela wurde nach seiner Runde wieder nach Hause gebracht, und man kann sagen: Er hat nicht viel verpasst. Bis auf die Härten hatte die erste Hälfte nicht viel zu bieten, in der zweiten Hälfte und vor allem in der Verlängerung kamen immerhin ein paar Torchancen dazu. Zunächst eine für Spanien. Wie gegen Deutschland war Carles Puyol mit wehenden Haaren durch den gegnerischen Strafraum geflogen, sein Kopfball erreichte jedoch nicht das Netz, sondern den freistehenden Joan Capdevila, der davon so überrascht war, dass er sechs Meter vor dem Tor an der Kugel vorbeitrat (48. Minute). Fassungslos schaute er anschließend ins Rund. Klar was er gedacht hat: Nicht, dass es später an mir und dieser Chance liegt, wenn es nicht klappt. Aber es kamen noch bessere.

Eine Viertelstunde später war es Arjen Robben, der ebenso fassungslos ins Rund blickte. Er war allein aufs Tor zugelaufen, doch seinen Schuss hatte Torwart Iker Casillas so eben gerade noch mit der Fußspitze abwehren können, eine fantastische Parade. Und wiederum wenige Minuten später schaute ein dritter Mann mit flehendem Blick in die Ferne: David Villa hatte nach einem groben Fehler von John Heitinga den Ball aus fünf Metern nicht ins Tor gebracht (69. Minute).

Es war kein gutes Spiel, doch es hatte seine Momente. Robben scheiterte erneut frei vor Casillas (83.), in der unterhaltsamen Verlängerung vergaben die eingewechselten Fabregas (95.) und Navas (102.) beste Möglichkeiten. Spanien war spielerisch überlegen, doch was die Chancen angeht, war die Begegnung ausgeglichen. Als alles so aussah, als würde die Partie der brutalstmöglichen Form der Entscheidungsfindung zugeführt, dem Elfmeterschießen, passte Fabregas auf Iniesta, und der schaute, er schaute und schoss sein Team zum Titel; er schoss Spanien ins Glück.

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