Hertha gegen Bayern:Mittelfinger und Bayern-Bonus

Hertha BSC Berlin - Bayern München

Eskalation: Robert Lewandowski trifft in der 96. Minute zum 1:1 gegen Berlin.

(Foto: dpa)
  • Nach dem Ausgleich von Robert Lewandowski in der 96. Minute beschwert sich Hertha-Trainer Pal Dardai über den Schiedsrichter.
  • Viele Bayern-Profis kritisieren die Hertha-Spieler. Sie hätten Zeit geschunden.
  • Bayern-Trainer Carlo Ancelotti sagt, er sei von Hertha-Fans angespuckt worden. Daraufhin habe er ihnen den Mittelfinger gezeigt.

Von Javier Cáceres, Berlin

Der FC Bayern München hat eine erstaunliche Lust daran gewonnen, Spiele fern der Heimat bis zur Neige auszukosten. In Freiburg siegte der Rekordmeister im Januar in der Nachspielzeit, in Ingolstadt erzielte man vergangene Woche gleich zwei Tore in der "Extra Time", wie sie die Engländer nennen - und am Samstag vollbrachte der deutsche Rekordmeister ein ähnliches Werk. Es langte diesmal zwar nicht ganz zum Sieg. Doch in der sechsten (!) Minute der Nachspielzeit, genau genommen nach 95:59 Minuten, schaffte es der FC Bayern immerhin, der Hertha noch einen fast sicher geglaubten Sieg zu entreißen - durch ein Tor des eingewechselten Mittelstürmers Robert Lewandowski zum 1:1, das die Berliner gesenkten Hauptes nach Hause gehen ließ.

"Ein Punkt gegen die Bayern ist eigentlich wunderbar. Aber es tut schon weh", sagte Herthas Trainer Pal Dardai nach dem Remis - und äußerte wegen der alles andere als handelsüblichen Nachspielzeit heftige Kritik am Schiedsrichter Patrick Ittrich. "Da kann jeder beleidigt sein, wenn ich das sage, aber das ist der Bayern-Bonus. Nach 95 Minuten muss der Schiri abpfeifen. Das ist kein Pokalspiel, wir spielen keine 120 Minuten." Im Lager der Bayern hielt man den Zuschlag allerdings für überaus gerechtfertigt. "Ich habe schon früher mal gesagt, dass die Nachspielzeit in der Bundesliga eigentlich zu kurz ist", sagte Torschütze Lewandowski, der nunmehr 16 Tore in 21 Spielen auf dem Konto hat.

Nationalspieler Thomas Müller wiederum monierte "ein extrem auffälliges Zeitspiel der Hertha". Die Wadenkrämpfe, die namentlich Vedad Ibisevic, Niklas Stark und Sebastian Langkamp rund um die 60. Minute erlitten hatten, seien "doch etwas auffällig gewesen". Manuel Neuer spottete: "Die haben da reihenweise mit Krämpfen gelegen, das war ja auch die Mannschaft, die in den letzten Wochen englische Wochen hatte und Champions League gespielt hat. Wir haben einfach immer weiter gemacht." Und von wegen Bayern-Dusel: "Es ist nichts Neues bei uns, dass wir einen ausgeprägten Siegeswillen im Gepäck haben", sagte Müller.

Münchens Trainer Ancelotti zeigt Fans seinen Mittelfinger

Vor allem hatten sie Spielmacher Thiago in der Elf, der in der letzten Sekunde die Übersicht behielt und die einzige defensive Unsicherheit der Hertha der gesamten Partie atemberaubend gut interpretierte. Einen Freistoß vom linken Strafraumrand drosch er nicht etwa blind vors Tor - er legte den Ball in den Rückraum auf den völlig verwaisten Arjen Robben ab, der wiederum direkt aufs Tor schoss. Den Abpraller bugsierte Lewandowski reaktionsschnell ins Netz. "Das war vielleicht nicht mein schönstes Tor, aber ein sehr wichtiges", sagte der Pole, der mit seinem Treffer Herthas Torwart Rune Jarstein derart mit Frust anfüllte, dass der Keeper Xabi Alonso den Ball in den Rücken drosch - was wiederum zu Ärger und einer Rudelbildung führte. Sauer war auch Bayern-Trainer Carlo Ancelotti, der nach dem Abpfiff bestätigte, Zuschauern seinen Mittelfinger gezeigt zu haben, "weil ich vorher angespuckt worden bin".

Der Berliner Ärger war auch deshalb nachvollziehbar, weil Hertha die beste Leistung seit längerer Zeit gezeigt hatte. Die Spieler hatten im Grunde von der ersten bis zur letzten Sekunde aggressiv, ambitioniert und konzentriert agiert und ihren Strafraum so umsichtig verteidigt, dass die Bayern erst in der 89. Minute zum ersten Mal mit wirklicher Erfolgsaussicht aufs Tor schossen - durch einen direkten Freistoß von David Alaba, den Jarstein abwehrte.

Berlins Stürmer Ibisevic beendet seine Torflaute

Herthas Führungstreffer war durch Kapitän Vedad Ibisevic nach 21 Minuten gefallen. Dass sich die Berliner dabei für die Mithilfe von Schiedsrichter Ittrich und Thomas Müller bedanken durften, war zwar ein Teil der Wahrheit. Dem insgesamt verdienten Charakter des Treffers tat das aber keinen Abbruch. Ittrich hatte deshalb mit dem Treffer zu tun, weil er auf Freistoß entschied, als Bayerns chilenischer Mittelfeldspieler Arturo Vidal Linksverteidiger Marvin Plattenhardt attackiert hatte. Ittrich pfiff, obschon Vidal den Berliner nicht erkennbar berührt hatte. Bayern-Spieler Müller wiederum war insofern Komplize des Hertha-Tores, als er beim Freistoß von Plattenhardt den ihm zugeteilten Gegenspieler Ibisevic enteilen ließ und damit erst ermöglichte, dass der Bosnier mit einem Ausfallschritt den Ball ins Tor lenkte. Bayerns Torwart Manuel Neuer riss noch die Arme hoch. Doch gegen den Schuss aus drei Metern hatte er nicht den Hauch einer Chance. Es war Ibisevic' erster Treffer nach sieben Partien ohne Tor.

Erst nach den Einwechslungen von Xabi Alonso und Lewandowski nach gut einer Stunde entwickelten die Bayern größeren Druck. Sie reichten dabei freilich nicht einmal ansatzweise an die Champions-League-Gala gegen den FC Arsenal (5:1) heran; in Strafraumnähe verflog jeder Ansatz von Brillanz. "Wir sind oft zwischen die Linien gekommen, aber bei den Anschlussaktionen Richtung Torabschluss haben wir nicht die richtigen Entscheidungen getroffen", sagte ausgerechnet Thomas Müller, der mit nicht zu interpretierenden Laufwegen immer wieder ein Hindernis bei den Offensivbemühungen der Bayern darstellte.

Die gefährlicheren Szenen konnte die Hertha für sich reklamieren. Ibisevic verfehlte in der 50. Minute eine Plattenhardt-Hereingabe nur knapp; sechs Minuten später schoss Genki Haraguchi aus 16 Metern überhastet übers Tor. Die Bayern hingegen verloren sich immer wieder im Dickicht der Berliner Defensive - bis Lewandowski den Ball doch noch über die Linie brachte, und Hertha um eine bittere Erkenntnis reicher war, die Trainer Dardai in Worte packte: "Ende ist erst, wenn der Schiedsrichter drei Mal pfeift."

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