Interview:Der Weltmeister-Bonus: Auch mal frech sein

"Mir war wurscht, ob ich rausfliege": Vor 30 Jahren wurde Frank Wörndl Slalom-Weltmeister. Heute kommentiert er fürs TV - wenn er nicht wegen Lothar Matthäus verschläft.

Interview von Matthias Schmid

Frank Wörndl ist Weltmeister im Slalom, Olympia-Zweiter, aber ein Weltcup-Rennen hat der gebürtige Allgäuer in seiner Karriere als Ski-Rennläufer nie gewonnen. Sein WM-Titel von Crans-Montana liegt 30 Jahre zurück. Im SZ-Interview erzählt der heute 57-jährige Kommentator von Eurosport, warum er vor seiner völlig überraschenden Goldmedaille erst seinen Rücktritt vom Rücktritt erklären musste, er Alberto Tomba unterschätzte und warum eine Ski-Ausfahrt mit Lothar Matthäus im Chaos endete.

SZ: Herr Wörndl, was sind Ihre ersten Erinnerungen, wenn Sie an Ihr WM-Gold zurückdenken?

Frank Wörndl: Es gibt nicht viele.

Ist da überhaupt nichts mehr da?

Das ist alles so weit weg. Und es ist auch nicht präsenter, wenn eine WM läuft. Ich denke lediglich daran, wenn ich hier in St. Moritz nach den Rennen sehe, dass nur der erste Platz zählt. Und wie viel Glück du haben musst, zwei Läufe richtig durchzuziehen, um am Ende ganz oben stehen zu dürfen.

Ihr WM-Titel kam ja ziemlich kurios zustande.

Ich fühlte mich wie Felix Neureuther nach seinem Riesentorlauf jetzt in St. Moritz. Er wurde zwar nur 16., fuhr aber im zweiten Durchgang die zweitschnellste Zeit und zeigte, dass er die Form und das Material hat, um eine Medaille zu holen. Aber man ist als Athlet dann einfach zu dumm, weil man einen großen Fehler macht. Ich war damals nach meinem siebten Platz im Riesenslalom so enttäuscht, dass ich noch vor dem Slalom gegenüber den Trainern meine Karriere für beendet erklärt habe.

Frank Wörndl Deutschland

Frank Wörndl in Aktion.

(Foto: imago)

Sie sind dann direkt zu ihrer Freundin nach Zürich gefahren.

Mein Trainer hat erst gar nicht versucht, mich aufzuhalten. Er war ein Schlitzohr. Er hat mir sein Auto gegeben und mich einfach fahren lassen, weil er merkte, dass ich nicht mehr ansprechbar war. Er hat nur gesagt, lass' mir mal die Telefonnummer da. Damals gab es ja noch keine Handys. Am nächsten Tag rief er tatsächlich bei meiner Freundin an, die ihn auch kannte. Und als ich den Hörer von Maggie entgegennahm und seinen ersten Satz hörte, musste ich gleich lachen.

Was hat er denn gesagt?

Dass ich doch bitteschön den Rücktritt vom Rücktritt erklären solle. Mit diesem Satz hat er mich schon gehabt, wie ein Fisch am Haken. Also habe ich meine sieben Sachen wieder zusammengepackt und bin losgefahren.

Und dann lagen Sie nach dem ersten Durchgang nur eine Hundertstel Sekunde hinter dem großen Favoriten, Ihrem Teamkollegen Armin Bittner.

Ich bin wie befreit gefahren, aber nicht, weil ich eine Medaille für mich gewinnen wollte, sondern weil ich hoffte, dass wir für Deutschland endlich eine Slalom-Medaille holen. Ich habe innerlich die gesamte Verantwortung zu ihm rüber geschoben, weil ich mir sicher war, dass Armin das sowieso macht. Mir war dann wurscht, ob ich rausfliege, weil ich wusste, dass er so bombensicher auf dem Ski steht. Für mich war dann alles leichter, ich verspürte keinen Druck mehr.

Ist Ihnen auch eine Fahrt nahe an der Perfektion geglückt?

Überhaupt nicht, im Gegenteil. Da war gleich nach sieben, acht Toren ein Schwung, der mir komplett misslang. Zudem war die Piste schon sehr ausgefahren. Aber es reichte zum Sieg.

Stimmt es, dass Sie vor der WM Armin Bittner angekündigt hatten, dass Sie sich den Sieg für die WM aufsparen würden?

Das stimmt. Wir waren vor der WM irgendwo in Frankreich unterwegs und sind Fis- und Europacup-Rennen gefahren. Armin hat alle drei gewonnen, beim ersten war ich noch Zweiter, aber beim nächsten war ich ziemlich weit weg. Dann kam er zu mir und sagte mir: Reiß dich mal zusammen und fahr' g'scheit. Ich entgegnete: Gewinn du nur die unwichtigen Rennen, ich hebe mir den Sieg für den wichtigsten Wettkampf auf.

Bayerischer Sportpreis in Muenchen 2016 Foto Frank Woerndl

Frank Wörndl heute, hier am Rande des Bayerischen Sportpreis in München 2016.

(Foto: imago)

Was hat sich nach dem WM-Titel verändert?

Davor bist du halt ein Mitläufer, in Deutschland das ewige Talent, das einen gewissen Stellenwert hat. Plötzlich stehst du aber im Mittelpunkt. Es macht dich reifer und selbstsicherer.

Am Jahr danach führten Sie bei Olympia im Slalom nach dem ersten Durchgang.

Und dann habe ich es vermasselt.

Sie haben Silber gewonnen.

Der entscheidende Fehler passierte schon im Starthaus, weil man zu viel denkt. Ich hatte Alberto Tomba gar nicht auf der Rechnung, der nach dem ersten Lauf weit zurücklag. Ich hatte mich nur auf den Schweden Jonas Nilsson konzentriert, den Zweiten. Ich habe dann über die Mikrofone der Trainer mitbekommen, dass dieser im zweiten Durchgang nur Fünfter war. Das hätte ich aber lieber nicht hören sollen. Das war der entscheidende Moment, weil ich dachte, dass ich jetzt überhaupt keinen Konkurrenten mehr habe und das Rennen locker nach Hause fahre. Am Ende habe ich Gold um sechs Hundertstel Sekunden verpasst, weil Tomba so überragend gefahren ist.

Da hätten Sie Ihren Mentaltrainer gebrauchen können, den Sie damals schon hatten?

Ja, aber Hans Eberspächer war leider nicht dabei. Wir hatten vor ihm schon mehrere "Psychos", wie wir sie nannten. Aber der Hans, der leider nicht mehr lebt, war der erste, mit dem Armin und ich gut arbeiten konnten. Von ihm habe ich gelernt, dass ich den zweiten Durchgang aus meinem Gedächtnis streichen konnte und so unbelastet gefahren bin, als wäre es der erste. Er hat mein Denken sehr vereinfacht und mir so die Nervosität genommen. Es ist diese Einfachheit, auf die es vor allem bei den Großveranstaltungen ankommt. Es verändert sich nichts zu anderen Rennen, vom Start bis ins Ziel ist es wie ein Kirmeslauf, wie eine Klubmeisterschaft. Du musst deine 70 Tore so schnell wie möglich durchfahren. Du musst das Komplizierte, das Drumherum, die Medaillen ausblenden. Das ist heute nicht anders als früher auch.

Welche Türen hat der WM-Titel Ihnen eröffnet?

Das hat mit Sicherheit geholfen, es war aber auch Zufall, dass ich heute für Eurosport Skirennen kommentiere. Sigi Heinrich hat mich 1991 im Zielraum von Saalbach-Hinterklemm gefragt, ob ich mitkommentieren könne, weil er stimmlich schwach war an diesem Tag wegen eines grippalen Infekts. Es gefiel ihnen, sie sagten, da ist der Slalom-Weltmeister, der das ganze Geschehen gut erklären kann. Wer weiß, ob das passiert wäre, wenn ich keine Medaille gewonnen hätte.

Haben Sie auch mehr Freiräume?

Ja, ich kann mir ein bisschen mehr rausnehmen, habe mehr Freiheiten als andere, die hier arbeiten. Ich kann auch mal frech sein. Da fällt mir grade eine nette Geschichte zu Lothar Matthäus, der mich gerade angerufen hat.

Erzählen Sie.

Ich war vor ein paar Jahren mal mit ihm in St. Moritz im Urlaub, er hatte ihn eigentlich mit seiner Frau gebucht. Es hatte dann allerdings Stress mit ihr, aber er wollte die Reise nicht absagen. Also überredete er mich, ihn zu begleiten. Es war Mitte Dezember, ich hatte zwei, drei Tage Zeit, bevor ich aus Alta Badia übertragen musste. Dann wache ich am Dienstagmorgen auf, wir waren am Abend vorher noch unterwegs gewesen. Als ich um 9.45 Uhr den Fernseher anschalte, sehe ich Max Blardone im Starthaus stehen. Mit der Startnummer eins in Alta Badia. Ich war noch ein bisschen müde, aber mein erster Gedanke war, dass die Schweizer das Rennen aus dem letzten Jahr zeigen. Doch dann fährt der Erste, der Zweite und der Dritte durchs Ziel und langsam dämmerte es mir, dass das ja live ist. Der Lothar schlief noch, als ich ihn weckte und fragte, welchen Tag wir heute haben. Da merkte ich erst, dass ich an diesem Tag hätte kommentieren müssen. Ich habe dann mein Handy eingeschaltet, ich hatte 27 Anrufe in Abwesenheit. Ich habe in die Kommentatorenbox angerufen und ihnen erzählt, dass ich auf ganz wichtiger Mission bin. Ich muss den Fußballer der Nation, den Rekord-Nationalspieler, moralisch aufbauen und kann nicht kommen. Sie haben es verstanden: Bei solchen Dingen merkst du, dass ich als Weltmeister einen Bonus habe.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: