Köln - Schalke (17.30 Uhr):Die kürzeste Ansprache

SC Freiburg v 1. FC Koeln - Bundesliga

Vorerst nicht so in Aktion zu bewundern: Der Kölner Leonardo Bittencourt (links), hier gegen Freiburgs Maximilian Philipp.

(Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Der FC hat den Schwung verloren und muss in den kommenden Wochen ausgerechnet auf Leonardo Bittencourt verzichten, einen Schlüsselspieler. Der Trainer flüchtet sich in Sarkasmus.

Von Philipp Selldorf, Köln

Am Donnerstag hat Peter Stöger pflichtbewusst Überstunden gemacht, bis kurz vor Mitternacht saß er bei der Arbeit. Am Ende hatte er das Gefühl, dass ihn seine Forschung kein Stück klüger gemacht hätte. "Schalke hat viele gute Spieler", sagt er, "aber das habe ich auch vorher schon gewusst."

Ganz vergeblich war die Fernseh-Lektion vom Schalker Europa-League-Sieg in Saloniki aber trotzdem nicht: Ein paar neue Nuancen hat der Trainer des 1. FC Köln vom Gegner des Sonntag-Spiels schon wahrnehmen können. "Es war eine reife Leistung. Sie haben zur Schau gestellt, dass sie im Aufwärtstrend sind." Nicht zuletzt, so glaubt der Österreicher, liege das an den aktuellen Lebensumständen der Schalker Spieler in Gelsenkirchen: "Sie werden jetzt ein bisschen mehr in Ruhe gelassen."

Noch vor drei Wochen war Schalke ein Unruheherd, die Mannschaft hatte zuhause gegen Eintracht Frankfurt 0:1 verloren und dabei ein dramatisch hilfloses Bild abgegeben. Das Publikum war unzufrieden, Trainer und Manager waren es auch. Köln hingegen schwelgte im Glück. Nach dem 6:1 bei Darmstadt 98 hatte der FC auch den VfL Wolfsburg 1:0 besiegt, mit einer Überzeugung und Geradlinigkeit, als wäre das eine Selbstverständlichkeit.

Knapp 50.000 Menschen verließen das Stadion in Müngersdorf in der Erkenntnis, dass ihr FC in ein Stadium aufgerückt ist, in dem er es nicht mehr nötig hat, eine Mannschaft wie Wolfsburg mit List und Tücke und vereinter Maurerarbeit zu bezwingen. Der FC kann jetzt einen topbesetzten Gegner selbstbestimmt über den Rasen jagen, er kann mit kalkuliertem Risiko das Spiel führen und den Sieg forcieren. Solche herrlichen Parolen erfreuten die FC-Herzen. Die Wunschträume vom Europapokal schienen in Köln längst nicht mehr illusorisch zu sein.

Zwei Niederlagen ernüchterten die Kölner Laune

Aber die Vorzeichen haben sich in der kurzen Zwischenzeit schon wieder gewendet: Am Sonntag wird der FC im eigenen Stadion eher Außenseiter sein, während die unlängst vom eigenen Volk verteufelten Schalker als der übliche Favorit kommen. Zwei Niederlagen - im Pokal in Hamburg und in der Liga in Freiburg - ernüchterten die Kölner Laune, aber noch viel mehr als diese immer noch gewöhnlichen Rückschläge traf es die Stadt, als der Klub am Donnerstag die nächste Verletzung von Leonardo Bittencourt bekanntmachte - bereits die dritte im Laufe der Saison. Diesmal handelt es sich um einen Sehnenabriss im Oberschenkel, mindestens sechs Wochen Pause stehen bevor.

Bittencourt ist mit seiner großartigen Technik, seiner Unternehmungslust und Spielfreude ein Spieler, der den FC besser machen kann. Das ist die eine Seite der Verlustmeldung. Die andere ist, dass viele Kölner meinen, ihr FC werde unverdient vom Pech verfolgt und dadurch um den Lohn der guten Arbeit gebracht. Tatsächlich hat es verletzungshalber gerade die Spieler erwischt, die das Team besonders stützen: Torwart Timo Horn, Rechtsaußen Marcel Risse, Kapitän Matthias Lehmann und nun wieder Bittencourt, die immer fröhliche Seele des Kölner Spiels.

"Jungs, ihr wisst ja, es geht gegen Schalke!"

In solchen Momenten fangen Trainer an zu seufzen und zu stöhnen. Aber Peter Stöger vertritt erst mal die Ansicht, dass ihm Bittencourts Verletzung die Arbeit erleichtert. "Ich muss jetzt niemanden mehr enttäuschen", sagt er. Sein Kader für Sonntag ergibt sich aus der Zahl der gesunden Profis. Und sowieso hat Stöger mit Schalke in den drei Jahren gemeinsamer Ligazugehörigkeit fast durchweg gute Erfahrungen gemacht: Vier Siegen steht bloß eine Niederlage gegenüber, der FC-Trainer war gern bereit, seine Anrede an die Spieler vorab bekannt zu geben: "Es wird die kürzeste Ansprache geben, die es geben kann: ´Jungs, ihr wisst ja, es geht gegen Schalke ..."

Jenseits der Ironie, die beim Wiener Coach gern auch mal ins Sarkastische ausgreift, lässt sich handfeste Skepsis im Kölner Lager ausmachen. Der Realist Stöger gibt zu bedenken, dass der Vorsprung auf Klubs wie Schalke, Bayer Leverkusen und Borussia Mönchengladbach womöglich nur geliehen war und dass die bestehenden Kader- und Budget-Unterschiede demnächst wieder in Ergebnissen und Tabellenstand Ausdruck finden könnten. Da schmerzt die Verletzung eines Schlüsselspielers umso mehr. "Das ist bitter für den Trainer, noch viel unangenehmer für den Spieler - und tut der Mannschaft logischerweise nicht gut", fasst Stöger zusammen.

Verschärftes Verletzungspech gefährdet den Erfolg

Der Nerv- und Frustfaktor der jüngsten Vermisstenmeldung ist daher nicht zu vernachlässigen: "Der ist, das sage ich ganz ehrlich, sehr hoch. In meinem Job muss ich mich auf verschiedene Situationen einstellen, das ist nicht das Thema. Aber für Leo ist es wirklich übel." Außer von ihren gesteigerten fußballerischen Fähigkeiten hat die Kölner Mannschaft in dieser Saison von ihrem intakten Innenleben und von der guten Stimmung rund um den Klub profitiert. Verschärftes Verletzungspech in Kombination mit Niederlagen gefährdet den soliden Kurs des Teams - die nächsten Gegner heißen Leipzig und Bayern.

Doch so wie Stöger in den guten Tagen nicht die Besinnung verloren hat, so neigt er jetzt auch nicht dazu, dunkle Vorhersagen zu treffen. Schalkes Aufschwung erkennt er gern an, "aber sie werden auf einen Gegner treffen, der weiß, dass er seit April 2016 zuhause nicht verloren hat - könnte eine spannende Geschichte werden am Sonntag".

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