Kommentar:Gefangen in einem Immer-weiter-immer-weiter-System

Kommentar: Sokratis Papastathopoulos, Roman Weidenfeller, Matthias Ginter und Julian Weigl nach dem Spiel gegen Monaco.

Sokratis Papastathopoulos, Roman Weidenfeller, Matthias Ginter und Julian Weigl nach dem Spiel gegen Monaco.

(Foto: AP)

Der Umgang mit dem Dortmunder Terrorakt hat gezeigt: Die Fußball-Organisationen müssen umdenken. Sie müssen den Sportler zurück ins Zentrum all ihrer Überlegungen stellen. Und nicht den Erlös.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Das Spiel gegen Frankfurt hatte einen engagierten Kommentator, einen, der sich außerhalb des Stadions befand. Am Samstagvormittag war Marc Bartra aus dem Dortmunder Knappschaftskrankenhaus entlassen worden, über den Kurznachrichtendienst Twitter blendete er sich vom heimischen Sofa immer wieder ins Spielgeschehen ein. Die frühe Führung des BVB durch Marco Reus feierte der Spanier in drei Worten: "Gol!!!! Torrrr!!! Auf geht's!!!!". Für den zweiten Treffer genügte ein Jubelschrei samt einer Inflation an Ausrufezeichen: "Jaaaaaaa!!!!!!!!!"

Während die Borussia beim 3:1-Sieg einen weiteren Schritt auf der Suche nach emotionaler Stabilität unternahm, sie nun schon im 35. Bundesliga-Heimspiel in Serie ohne Niederlage blieb, tagte unweit des Stadions die Rund-um-die-Uhr-Sonderkommission des Bundeskriminalamtes. Sie will wissen, wer den Dortmunder Teambus mit vier Sprengsätzen angriff, von denen drei detonierten. Wer den Mordversuch unternahm, bei dem wie durch ein Wunder nur ein Einziger, Marc Bartra, wegen einer Handverletzung im Krankenhaus behandelt werden musste.

Champions League am Ostersamstag? Warum nicht?

Wie die verletzten Gefühle und Gemüter aller Profis wieder ausbalanciert werden können, darum geht es in diesen Tagen. Und grundsätzlich um die Frage: Ab wann sollen Fußballer nach solch einem traumatischen Einschnitt wieder gegen den Ball treten? Wieder gegen den Ball treten müssen?

Man kann sich ja inzwischen durchaus vorstellen, dass Marc Bartra am Ostersamstag vom Sofa aus auch ein Champions-League-Spiel hätte kommentieren können. Warum nicht? Man hätte dazu das deutsche Ligaspiel der Dortmunder gegen Frankfurt und das französische Ligaspiel des AS Monaco gegen FCO Dijon um ein paar Tage, ein paar Wochen verschieben müssen. Dann hätten die Dortmunder drei Tage mehr Zeit gehabt, ihre Psyche zu ordnen. Anstatt nicht einmal 24 Stunden nach dem Knall antreten zu müssen, wie es bei der 2:3-Niederlage gegen Monaco unter Schmerz und Tränen geschah.

Eine solche Verschiebung sei nicht möglich gewesen, haben sie dazu bei der Europäischen Fußball-Union gesagt. Dazu hat die Uefa vielerlei Gründe und auch Sicherheitsaspekte aufgezählt. Die logistische Falle aber hat sich der Verband selbst gestellt: Es fehlte im Terminplan offensichtlich jeder Spielraum für eine angemessene Flexibilität. Wurde das Achtelfinale der Champions League im Februar/März noch auf vier Wochen gestreckt, wird das Viertelfinale rund um Ostern in nur sieben Tagen durchgezogen. Gezwängt in ein Korsett aus Kontrakten mit Fernsehanstalten und Sponsoren wurde eine Verschiebung um 24 Stunden aus der Uefa-Perspektive als einzig mögliche Reaktion präsentiert. Hätte Dortmund selbst den Verzicht erklärt, wäre das ausgefallene Duell mit 0:3 als verloren gewertet worden.

Innehalten könnte eine Geste von Trost und Stärke sein

In all ihrer unaufgeklärten Grausamkeit bekommt die Tat hoffentlich einen korrigierenden Aspekt. Denn in den Fußball-Organisationen, der Uefa, der Fifa, aber auch in den finanzstarken Vereinen muss damit begonnen werden, die Dinge wieder anders herum zu denken: Vom betroffenen Sportler her. Und nicht vom anderen Ende, vom prognostizierten Erlös.

Niemand weiß, ob das Duell Dortmund - Monaco für den BVB besser als Zweizudrei ausgegangen wäre, hätte man am Ostersamstag anstatt Bundesliga ausnahmsweise Champions League gespielt. Aber BVB-Profis wie Sokratis, Sahin oder Schmelzer hätten dann vielleicht nicht dieses am Mittwoch nach dem Abpfiff formulierte Gefühl gehabt, dass man ihren Opferstatus ignoriert. Und dass ihnen in einem Immer-weiter-immer-weiter-System eine große Chance genommen wird. Nämlich jene, in besserer Verfassung die begehrteste Trophäe gewinnen zu können, die im Klubfußball vergeben wird. Viele Sportverbände haben jedenfalls verdrängt, dass sie nur ein Mandat ausüben, dass sie eigentlich Anwälte sein sollten, die im Interesse der Athleten wirken. So weit die Theorie.

In eine Gewissensnotlage gedrängt

Auf einen Terroranschlag wie er in Dortmund geschah, ist niemand vorbereitet. Kein Offizieller war geschult im Krisenmanagement; BVB-Präsident Reinhard Rauball und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sahen sich - noch in Unkenntnis aller Fakten - in eine Gewissensnotlage gedrängt. Auf der einen Seite die eigene Mannschaft im Schockzustand, auf der anderen Seite das Drängen auch aus der Berliner Politik, nicht vor dem Terror einzuknicken. Eingefordert wurde ein Dienst an der erschütterten Gesellschaft.

Würde man den Sport künftig grundsätzlich wieder stärker über seine Hauptdarsteller definieren, gäbe es eine ethische Leitlinie. Man würde Offiziellen wie Spielern den Weg zu einer Entscheidung zumindest erleichtern. Und dann könnte ein Innehalten, eine angemessene Verschiebung, durchaus eine Geste von Trost, Zusammenhalt und Stärke sein.

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