Mitgliederversammlung des DOSB:Keine Freude am Fortschritt

DOSB-Mitgliederversammlung

Wer den Status quo erhalten möchte, hebe die Hand! DOSB-Maskottchen Trimmy. Sein Arbeitgeber will keine unbegrenzte Besitzstrafbarkeit von Doping-Mitteln.

(Foto: dpa)

Wir wollen nicht aus Erfahrungen lernen und nicht verbessern, was zu verbessern ist: Der Deutsche Olympische Sportbund ignoriert auf seiner Mitgliederversammlung den Rat von Fachleuten und lehnt den Antrag ab, der ein klares Anti-Doping-Gesetz vorschlägt. Es bestätigt sich, dass der DOSB in entscheidenden Fragen träge agiert.

Thomas Hahn, Stuttgart

Eine zierliche Frau betritt die Bühne, und das Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), das um seinen Chef Thomas Bach in Reih und Glied danebensitzt, ahnt wohl schon, dass es jetzt noch mal gefährlich wird. Die zierliche Frau, die den Antrag des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) für ein Anti-Doping-Gesetz mit unbeschränkter Besitzstrafbarkeit und Kronzeugenregelung vorstellen soll, ist nämlich Katja Mühlbauer, Juristin im bayerischen Justizministerium und bis November 2011 zweieinhalb Jahre Staatsanwältin in der Münchner Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft für Doping.

Katja Mühlbauer hat also, was niemand sonst im Plenum der 8. DOSB-Mitgliederversammlung in Stuttgart hat: praktische Erfahrung aus dem staatlichen Kampf gegen die Leistungsmanipulation. Wenn sie davon spricht, dass der Gesetzesrahmen nicht ausreicht, um auch Doping im Spitzensport wirkungsvoll zu bekämpfen, dann muss was dran sein. Und genau das tut Katja Mühlbauer jetzt.

Ihr kurzer Vortrag ist sachlich und klar. Unaufgeregt führt sie aus, dass die aktuelle Gesetzgebung den Anfangsverdacht nicht zulässt, auf den hin eine Staatsanwaltschaft den Netzwerken hinter dem Leistungssportbetrug nachspüren könnte - und zwar mit Werkzeugen, die der Sport nicht hat, mit Telefonüberwachungen, Hausdurchsuchungen usw. Katja Mühlbauer schließt mit der Frage an die Delegierten: "Wollen Sie den Status quo erhalten? Oder aus den Erfahrungen lernen und verbessern, was zu verbessern ist?"

Die Mitgliederversammlung hat die Frage dann eindeutig beantwortet: Wir wollen nicht aus den Erfahrungen lernen und nicht verbessern, was zu verbessern ist. Nur 25 der 459 Delegierten stimmten bei acht Enthaltungen für den DLV-Antrag. Der Antrag des DOSB ging anschließend ohne Gegenstimme durch. Dieser Antrag folgt dem Gutachten, das die Bundesregierung von dem Erlanger Rechtsprofessor Matthias Jahn hat erstellen lassen.

Er fordert "die Einführung zusätzlicher Tathandlungen in das Arzneimittelgesetz, um auch den Erwerb und das Verbringen von sowie den Handel mit Dopingmitteln sachgerecht zu verfolgen" sowie "die Erhöhung der Höchststrafe für Dopingvergehen im Arzneimittelgesetz von drei auf fünf Jahre". Er lässt weiterhin zu, dass laut Arzneimittelgesetz nur der Besitz von Dopingmitteln in "nicht geringen Mengen" strafbar ist. Im Klartext: Der DOSB will, dass der Staat erst Verdacht schöpft, wenn ein Athlet mehr Doping-Arznei mit sich führt, als ein Patient aus medizinischen Gründen in einem ganzen Monat braucht.

Eine Überraschung ist das nicht gewesen. Der DOSB unter Thomas Bach ist ein eher träger Dampfer, der vor allem dann ungern den Kurs wechselt, wenn es an die Substanz seiner Macht geht. Das hat man in Stuttgart auch an der Leistungssport- politik des DOSB gesehen. Deren Fortschrittsfreude erschöpft sich aktuell fast schon in der Forderung nach 25 Millionen Euro mehr Fördergeld vom Innenministerium, die Staatssekretär Christoph Bergner eher kühl kommentierte ("Ich werbe um Augenmaß").

Viel Kritik hat es bei Olympia in London an der Praxis des DOSB gegeben, das Fördergeld hinter verschlossener Tür in Zielvereinbarungsgesprächen zu verteilen, statt nach klaren Kriterien mit mehr Vertrauen in die Kompetenz der Fachverbände. Trotzdem bleibt er dabei, mehr noch: "Die Führungsverantwortung des DOSB gegenüber den Partnern ist zu stärken", steht in der Beschlussvorlage zur neuen Olympiade, die Leistungssport-Vize Christa Thiel vorstellte. Dass das Papier einstimmig durchging, spiegelt eher nicht die wahre Befindlichkeit in der deutschen Leistungssport-Landschaft.

Für Thomas Bach läuft alles gut

Und die Anti-Doping-Themen bearbeitet der DOSB erst recht aus einer eher abwartenden Position. Finanz-Vizepräsident Hans-Peter Krämer schmetterte beredt den DLV-Antrag ab, der klammen Anti-Doping-Agentur Nada mit 500.000 Euro für 2013 aus der Patsche zu helfen, indem er auf ein "strukturelles Defizit" hinwies, das man nicht nur "stückelchensweise" bearbeiten dürfe. Das Argument verstand DLV-Ehrenpräsident Helmut Digel gut. Aber er fragt auch: "Wer unternimmt etwas dagegen?" Vom DOSB ist kein Grundsatzplan zur Nada-Rettung bekannt.

In der immerhin lebhaften Debatte um ein scharfes Anti-Doping-Gesetz war der DOSB nur kreativ in seinem Bestreben, den DLV-Antrag zu verhindern. Er schaffte es nicht einmal, am Donnerstag nach der Präsidiumssitzung einen ernsthaft umsetzbaren Antrag vorzulegen; erst am Freitagnachmittag lag das Papier im richtigen Wortlaut vor. Warum er die unbeschränkte Besitzstrafbarkeit nicht will?

Im Trend lag das Argument, dass die Strafverfahren gegen Sportler das System der Sportgerichtsbarkeit mit seinen schnellen Urteilen nach dem Prinzip der Schuldvermutung infolge positiver Dopingtests schwächen können. Katja Mühlbauer teilt die Bedenken nicht: "Beide Gerichtsbarkeiten sind unabhängig voneinander", sagte sie vor der Mitgliederversammlung. Aber da hatten die Gegner des DLV-Antrags ihre Reden schon geschrieben. Nichts zu machen.

Für Thomas Bach lief alles gut. Auch wenn er und sein Generaldirektor Michael Vesper im Kampf gegen die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit von Dopingmitteln immer wieder ins Rudern kamen und nicht sehr souverän argumentierten. Thomas Bach sagte: "Wenn irgendeiner kommt, und den Nachweis bringt, dass die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit keine Gefahr für die Sportgerichtsbarkeit bringt, wäre es kein Thema." DLV-Präsident Clemens Prokop antwortet: "Den Nachweis kann man nur bringen, wenn man sie einführt und zeigt, dass sie kein Problem ist." Man muss den Fortschritt wollen, wenn man ihn erkennen will.

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