Motorsport:Mit der Trage gestürzt

Während der Staatsanwalt von Rimini Ermittlungen zum Tod von Motorrad-Pilot Shoya Tomizawa ankündigt, sind sich die Experten uneins über die Konsequenzen.

René Hofmann

Aus den vielen Reaktionen, die der Tod des 19 Jahre alten japanischen Motorrad-Profis Shoya Tomizawa am Sonntag beim Großen Preis von San Marino in Misano ausgelöst hat, ragt die von Fausto Gresini heraus. Der Manager des Honda-Teams gleichen Namens fand klare, unprätentiöse Worte für das Geschehene. "Heute ist ein Tag, an dem sich das Rennfahren nicht anfühlt, wie es sich anfühlen sollte", sagte Gresini, "wir wussten sofort, dass es ein schlimmer Unfall war, aber in solchen Momenten hofft man immer auf ein Wunder. Leider ist das Wunder heute ausgeblieben." Gresini, 49, war einst selbst Rennfahrer. Er weiß, wie sich Siege auf der Rennstrecke anfühlen. Und er weiß, wie es ist, wenn der Tod vorbeischaut. Daijiro Kato fuhr für sein Team, der letzte Fahrer, der vor Shoya Tomizawa bei einem WM-Rennen sein Leben ließ, vor sieben Jahren war das, auf der Rennstrecke in Suzuka.

File photo of Suter Moto2 rider Shoya Tomizawa carried on a stretcher during the San Marino Grand Prix

Retter mit Problemen: Beim Wegtragen des gestürzten Shoya Tomizawa gerät einer der Helfer im Kies ins Stolpern und der Verletzte geht zu Boden.

(Foto: REUTERS)

Die tödlichen Unfälle der beiden Japaner lassen sich nicht vergleichen. Und doch gibt es Parallelen. Kato kam - aus bis heute nicht geklärten Umständen - bei hohem Tempo zu Sturz und prallte gegen eine Mauer, die gefährlich nahe an der Rennstrecke stand und zu wenig gesichert war. Tomizawa stürzte, nachdem er mit seinem Hinterrad in einer extrem schnellen Kurve auf den Randstreifen geraten war; er wurde von zwei nachfolgenden Fahrern überrollt.

Katos Unfall löste damals eine vielschichtige Sicherheitsdebatte aus. In die Kritik gerieten die Rennstrecke, die WM-Veranstalter und die Bergungsmannschaften. "Die Strecke ist lebensgefährlich", schimpfte damals Pilot Sete Gibernau. Sein Kollege Marco Melandri meinte: "Die WM-Organisatoren kümmern sich keinen Deut um unsere Haut. Die wirtschaftlichen Interessen sind ihnen wichtiger als unsere Gesundheit." Mediziner sprachen von "unglaublichen Versäumnissen und Mängeln" bei der Erstversorgung Katos, der zunächst ohne einen Notarzt in Rückenlage von der Strecke getragen worden war, während das Rennen weiterlief.

Arzt ließ Rennen nicht stoppen

Auch der Große Preis in Misano lief nach Tomizawas Unfall in der zwölften von 26 Runden weiter. Nach dem Rennen der Kategorie Moto2 wurde um 14 Uhr planmäßig das Rennen der MotoGP-Klasse gestartet. Die Verantwortlichen haben Vorwürfe, das sei falsch und pietätlos gewesen, inzwischen zurückgewiesen. Javier Alonso von der Firma Dorna, die die WM vermarktet, sagt: "Wir wussten bis 14.20 Uhr nicht, dass Tomizawa leider gestorben war. Wir mussten weitermachen." Die Rechtevermarkter stehen bei den TV-Stationen, die die Rennen übertragen, im Wort. Können sie die zugesagten Inhalte nicht liefern, drohen ihnen Regressforderungen.

Die Motorrad-WM leistet sich ein eigenes, mobiles Hospital. Die Clinica Mobile gewährleistet, dass die Versorgung an allen Strecken auf dem gleichen Niveau ist. Claudio Macchiagodena, Stabsarzt in der Clinica, koordinierte am Sonntag die Behandlung von Tomizawa - und verteidigt die Entscheidung, den Verletzten von den Streckenposten bergen und das Rennen nicht ab- oder unterbrechen zu lassen. "Ich habe aus medizinischen Gründen die Entscheidung getroffen, die Rennleitung nicht aufzufordern, das Rennen mit der roten Flagge zu stoppen", sagte Macchiagodena, "weil das mir bei meinem Job nicht geholfen hätte."

Hinter der Streckenbegrenzung habe ein Krankenwagen mit einem Beatmungsgerät gestanden, in dem die lebensrettenden Maßnahmen sofort hätten beginnen können. Auch künftig wolle er so vorgehen, so Macchiagodena: "Meiner Meinung nach ist es korrekt, schnell hinter die Begrenzung zu gehen. Die Retter und Ärzte können dort leichter arbeiten. Es kommen keine anderen Motorräder vorbei, es ist ruhig. Dafür zwanzig Sekunden aufzuwenden, ändert am Zustand (des Verunglückten/Anmerkung der Redaktion) nichts. Das ist meine Meinung." Allerdings könnte auch die nicht ganz neutral sein. Stirbt ein Fahrer auf der Strecke, schreitet in manchen Ländern die Staatsanwaltschaft ein - und der Sportplatz wird erst einmal gesperrt.

Tomizawas Tod beschäftigt aber auch so die Behörden. Der Staatsanwalt von Rimini kündigte am Tag nach dem Unfall an, Ermittlungen aufzunehmen. Eine Autopsie soll klären, woran Tomizawa genau starb. Inzwischen ist nämlich bekannt geworden, dass einer der vier Helfer an der Trage im Kiesbett ins Stolpern kam und der Verletzte deshalb noch einmal zu Boden ging. Fotos von der Bergung dokumentieren das Missgeschick.

Künstliches Gras soll weg

Von der Unfallstelle aus wurde Tomizawa zunächst ins Streckenhospital verlegt. Dass es einige Zeit dauerte, bis er dort ankam, erklärt Clinica-Mobile-Arzt Macchiagodena folgendermaßen: "Wenn man nur einen gebrochenen Arm hat, ist ein Krankenwagen das gleiche wie ein Taxi. In diesem Fall aber war es sehr wichtig, die Beatmung und zwei Ärzte dabei zu haben. Als Tomizawa im Streckenhospital ankam, war sein Zustand sehr kritisch." Das Unfallopfer wurde in ein künstliches Koma versetzt und im Krankenwagen ins Hospital nach Riccione verlegt. Der bereitstehende Rettungshubschrauber kam bewusst nicht zum Einsatz. In ihm wäre die Beatmung des Schwerverletzten nicht so gut zu gewährleisten gewesen, behaupten die Ärzte.

Franco Uncini, der Sicherheitsbeauftragte der Motorrad-WM, kündigte umgehend an, Tomizawas Unfall werde die Sicherheits-Bemühungen noch verstärken, wobei der Italiener das Ergebnis dieses Prozesses merkwürdigerweise schon zu kennen glaubt: "Wir können sagen: Was passiert ist, hatte nichts mit der Sicherheit zu tun", sagte Uncin noch in Misano, "diese Art von Verletzungen können unglücklicherweise jederzeit wieder auftreten." Ganz so fatalistisch sehen es nicht alle. Helmut Bradl, Vater des Moto2-Fahrers Stefan Bradl und 1991 selbst WM-Zweiter in der Klasse bis 250 ccm, fordert: das künstliche Gras in den Auslaufzonen abzuschaffen, auf dem Tomizawa ins Schleudern geriet. Bradl zum sid: "Das ist für Autos gut, aber für Motorräder tödlich, weil die Maschine dort nicht mehr kontrollierbar ist." Außerdem wären kleinere Starterfelder besser. Neben Tomizawa waren in Misano noch 37 Piloten angetreten.

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