Spektakel in Heidenheim:Windelweich gejubelt

1. FC Heidenheim - VfB Stuttgart

Stuttgart auf dem Weg in die Bundesliga: Simon Terodde, Torschütze Josip Brekalo und Anto Grgic (v.l.n.r.) bejubeln das 2:1 gegen Heidenheim.

(Foto: Deniz Calagan/dpa)

Heidenheim und Stuttgart spielen, als gehörten sie zur Premier League: mit erstklassigem Regen und Grätschen, die Spurrillen im Rasen hinterlassen. Am Ende entscheidet ein irrer Torwart-Reflex.

Von Christof Kneer, Heidenheim

Hatte Simon Terodde den Schlusspfiff nicht gehört? Wie von Sinnen rannte er am gegnerischen Strafraum los, raste zurück Richtung Mittellinie und wurde nicht langsamer, als er sich dem eigenen Strafraum näherte. Er bremste erst, als vor ihm das textmarkergelbe Trikot von Mitch Langerak aufleuchtete, und dann warf er sich auf seinen Torwart, schüttelte ihn und ließ ihn nicht mehr los, und nun hätte es eigentlich einen strengen Schiedsrichter gebraucht, um die beiden Duellanten wieder zu trennen. Aber wie gesagt: Das Spiel war schon vorbei, offiziell. Inoffiziell tobte es in den Köpfen aller Beteiligten weiter.

Klar: Warum sollte sich so ein imposantes Schlachtengemälde einfach auflösen, nur weil ein Schiedsrichter in eine Pfeife pfeift?

Es war ein Spiel der zweiten deutschen Bundesliga, das da soeben zu Ende gegangen war. Aber hätte man dieses Spiel auf dem sagenumwobenen asiatischen Markt ohne Kommentar gesendet und auf die Einblendung von Vereinslogos verzichtet, dann hätten die Asiaten es halt für eines dieser üblichen Premiere-League-Matches gehalten. Nicht von ganz oben in der Tabelle selbstverständlich, eher so im Bournemouth-gegen-Middlesbrough-Bereich. Diese Bilder kennt der asiatische Markt ja aus tausend Übertragungen: erstklassiger Regen; weite Schläge und hohe Bälle; Eckstöße im Dutzend billiger; Grätschen, die Spurrillen im Rasen hinterlassen. Unter diesen vertrauten Bilder stand aber diese ganz und gar verstörende Information: 1.FC Heidenheim 1, VfB Stuttgart 2.

Mit dieser Leidensfähigkeit wäre der VfB vermutlich nicht abgestiegen

"Ein begeisterndes Spiel für alle, die es gesehen haben", bilanzierte Stuttgarts Trainer Hannes Wolf später mit einem gewissen Leuchten im Gesicht. Wolf gehört zu jener modernen Trainergeneration, die ein Spiel gern berechnen und kontrollieren möchte, aber "den wilden Szenen in der Schlussphase" (Wolf) konnte der Trainer unmöglich böse sein. Zum einen natürlich, weil sein VfB gewonnen und die Tabellenführung in der zweiten Liga einstweilen ausgebaut hatte; zum anderen aber auch, weil ihm die wilden Szenen in der Schlussphase willkommene Informationen über seine Mannschaft lieferten. "Ich bin extrem stolz auf die Kultur in der Mannschaft", sagte Wolf, "man konnte in den Gesichtern sehen, was diese Schlussphase mit den Spielern gemacht hat".

Die Schlussphase, die Wolf meinte, bestand - vereinfacht gesagt - aus zwei Teilen. Teil eins war jenes abenteuerliche Siegtor des 18-jährigen Kroaten Josip Brekalo, dessen 25-Meter-Drehschuss kurz die Latte grüßte und dann unbeirrt in den Torwinkel weiterflog (71.) - es war das dritte Siegtor in den letzten 20 Minuten in den bisherigen vier Rückrunden-Spielen. Teil zwei war jene Eckballserie zwischen der 82. und 85. Minute: Erst warfen sich Langerak, Großkreutz und Gentner in einen Schuss, dann kratzte Brekalo einen Ball von der Linie, und schließlich wischte Langerak einen unhaltbaren Kopfball von Wittek mit einem Spektakelreflex an die Latte, von wo der Ball an den Pfosten weiterflog. Es war der Reflex, für den er sich nach dem Schlusspfiff von Terodde windelweich schütteln lassen musste.

Glück? Klar, viel Glück sogar. Aber eben auch: sehr viel Verteidigungs-Enthusiasmus und jede Menge Leidensfähigkeit - Tugenden, die der VfB vor einem Jahr gut gebraucht hätte. Mit diesen Tugenden - eine herrlich unbeweisbare, aber gewiss wahre Theorie - würde er jetzt nicht in der zweiten Liga spielen.

Schnatterer, der seitenverkehrte Robben

Was der VfB in Heidenheim schaffte, ist selten, aber das gibt es: Siege, die sehr glücklich und gleichzeitig extrem verdient sind. Diese charmante Mischung war es, die Hannes Wolf später von einem "unfassbar schönen Abend" schwärmen ließ. Aus dem glücklichen Teil des Sieges leitet der Trainer jene "Mentalität und Widerstandskraft" ab, die der VfB seit Jahren vermisst und die er in dieser recht britischen zweiten Liga dringend benötigt; gleichzeitig beruhigt den Trainer der verdiente Teil des Sieges sehr, weil von der ersten Minute an nicht zu übersehen war, dass der VfB viel selbstverständlicher und souveräner kombinierte als die Mannschaft von der benachbarten Ostalb. Gegen Heidenheim alleine hätte Christian Gentners Führung nach einem Eckball (19.) vermutlich für einen halbwegs entspannten Abend gereicht; nicht aber gegen die Kombination Heidenheim plus Marc Schnatterer.

Heidenheims local hero wird immer mehr zum schwäbischen Robbenle: Wie beim Münchner Flügelspieler, so ist auch Schnatterers Lieblings-Bewegung inzwischen ligabekannt, trotzdem kommt er immer wieder damit durch. Der VfB hatte alles im Griff, bis der seitenverkehrte Robben zuschlug (42.): Von links zog Schnatterer nach innen und schoss mit rechts - und der Ball sauste genau in jenen Winkel, in den später auch Josip Brekalo treffen sollte.

Rechnet man die Ergebnisse von Vor- und Rückrunde zusammen, so steht es jetzt 3:3 zwischen den beiden schwäbischen Rivalen, die in all den Jahren und Jahrzehnten meist durch drei, vier Ligen getrennt waren. Nach den Eindrücken dieses Freitagabends könnte es aber gut sein, dass sich die Wege erst mal wieder trennen. "So wie's aussieht", sagte Heidenheims Trainer Frank Schmidt, "gibt's dieses Duell im nächsten Jahr nicht mehr." Und er meinte damit vermutlich nicht, dass seine Heidenheimer absteigen.

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