Atomgipfel im Kanzleramt:Merkel pocht auf Entscheidung

Am Sonntag soll eine Spitzenrunde die Zukunft der Kernkraft besiegeln. Doch ein neues Rechtsgutachten zeigt: Die EU könnte jede Laufzeitverlängerung ausbremsen.

M. Bauchmüller, N. Fried und S. Höll

In zwei Sitzungen will die Bundesregierung am Sonntag den Streit um die Atomlaufzeiten beilegen. Doch schon jetzt zeichnen sich neue Probleme ab. Die Atomentscheidung könnte sich abermals verzögern - der EU-Kommission wegen. Einem Rechtsgutachten zufolge muss sie jede Novelle überprüfen.

Kühlturm des Blocks B des Kernkraftwerkes in Gundremmingen (KGG) bei Günzburg in Bayern

Die Bundesregierung ringt um eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke.

(Foto: ddp)

Bislang setzt die Koalition darauf, den Streit um die Atomlaufzeiten möglichst rasch aus der Welt zu schaffen. So wollen Union und FDP verhindern, dass er die wichtige Landtagswahl in Baden-Württemberg zusätzlich belastet; sie findet Ende März statt. Die schwarz-gelbe Koalition ist schon wegen des umstrittenen Bahnhofsprojekts "Stuttgart 21" unter Druck, einen zusätzlichen Atomstreit kann sie schlecht gebrauchen.

Deswegen will Bundeskanzlerin Angela Merkel schon an diesem Sonntag die Weichen für längere Laufzeiten stellen. Vormittags trifft sie sich mit den Fachministern für Wirtschaft, Umwelt und Finanzen, am frühen Nachmittag sollen auch die Parteichefs von CSU und FDP dazukommen, Horst Seehofer und Guido Westerwelle.

Auch die Spitzen der Koalitionsfraktionen sollen dabei sein. Theoretisch könnte schon dann eine Entscheidung fallen - den Gesprächsteilnehmern jedenfalls wurde beschieden, sich für den Sonntagabend nichts vorzunehmen. Es könnte spät werden.

Auflagen der EU

Derweil taucht ein ganz neues Problem auf, denn der Zeitplan könnte ins Wanken geraten: Was immer die Spitzenrunde zu den Laufzeiten entscheidet, sie wird es nicht ohne die EU-Kommission tun können. Das geht aus einem Greenpeace-Rechtsgutachten hervor, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Demnach muss die Kommission aufgrund des Euratom-Vertrages jede Neuregelung, die eine Mehrung radioaktiver Abfälle nach sich zieht, zunächst auf ihre Umweltfolgen für andere Mitgliedstaaten hin untersuchen. So müsse die Bundesregierung "gewährleisten, dass noch vor der Entscheidung, die Laufzeiten der Atomkraftwerke gesetzlich zu verlängern", eine Stellungnahme der Kommission vorliegt, heißt es in dem Gutachten. Erst dann könnte der Bundestag entscheiden.

Obendrein müsse Brüssel die Gesetzesänderungen an sich noch absegnen. Offenbar prüft auch die Bundesregierung, für welche Regelungen diese "Notifizierung" nötig ist. Sie würde das Inkrafttreten des Gesetzes verzögern. "Merkels Pleiten-, Pech- und Pannen-Serie geht weiter", sagte Greenpeace-Energieexperte Tobias Münchmeyer. "Ihre Strategie, die unpopuläre Laufzeitverlängerung noch schnell vor dem Baden-Württemberg-Wahlkampf durch den Bundestag zu bringen, ist gescheitert."

Dabei hat die Bundesregierung schon so genug Probleme zu lösen. Sie wird am Sonntag entscheiden müssen, ob die Kernkraftwerke zehn, 15 oder gar 20 Jahre länger laufen, ob es verschärfte Auflagen für die Kraftwerke gibt, ob auf kurz oder lang ältere Meiler vom Netz müssen. Sie wird sich einigen müssen, ob sie eine Brennelementesteuer eintreibt oder einen Vertrag mit den Betreibern schließt, mit dem diese Teile ihrer Gewinne in einen Fonds einzahlen. Und schließlich soll klar werden, ob und wann längere Laufzeiten mit Verfassungsrecht kollidieren - schließlich könnten die Bundesländer darauf pochen, an der Entscheidung beteiligt zu werden. Den Bundesrat will die Koalition umgehen, ein Veto dort gilt als sicher.

Bevölkerung leht Laufzeitverlängerung mehrheitlich ab

Doch schon vor dem Treffen sorgt diese Frage für Streit. Die Innen- und Rechtspolitiker der Unionsfraktion stellten sich am Freitag gegen Überlegungen der Bundesregierung, die Laufzeiten lediglich um etwa ein Drittel der bisher vereinbarten Zeiträume zu verlängern, um einer Zustimmungspflicht des Bundesrates aus dem Weg zu gehen.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), sagte der Süddeutschen Zeitung, aus juristischer Sicht sei eine solche Befristung nicht notwendig. Der Bundesrat müsse der Laufzeitverlängerung überhaupt nicht zustimmen, da sie lediglich bestehende Aufgaben der Länder fortschreibe. Deshalb seien Empfehlungen von Innen- und Justizministerium, die zu einer Laufzeitverlängerung von maximal zehn Jahren raten, reine "Wahrsagerei", sagte Uhl.

Opposition und Umweltverbände wandten sich am Freitag abermals gegen die geplante Verlängerung der Laufzeiten. "Das Energiekonzept der Regierung ist gescheitert", sagte SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber. Die Koalition habe "willfährig" die Atomlobby bedient. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi kritisierte, die Bundesregierung lasse sich von den Kernkraftbetreibern "vorführen". Mehrere atomkritische Organisationen luden für Sonntag zum Protest am Kanzleramt ein. Einer ARD-Umfrage zufolge lehnen 59 Prozent der Deutschen eine Verlängerung um zehn bis 15 Jahre, wie sie die Kanzlerin favorisiert, ab.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: