BA-Chef Weise:"Wir brauchen eine gesteuerte Zuwanderung"

Deutschland diskutiert in einer hitzigen Debatte das Thema Zuwanderung - und der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Weise, prophezeit düstere Perspektiven.

Thomas Öchsner und Uwe Ritzer

Kanzlerin Angela Merkel staunte nicht schlecht, wer ihr da bei einem Truppenbesuch in Afghanistan in Bundeswehruniform über den Weg lief und ihr als Wehrübender Meldung machte: Frank-Jürgen Weise, 59, Oberst der Reserve, im Zivilleben Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Sein Büro dort strahlt nichts Soldatisches aus. Gediegen, zweckmäßig, mit großen Zimmerpflanzen und wohl dosierter moderner Kunst an der Wand. Der Schreibtisch ist akkurat aufgeräumt, die Akten darauf sind sauber geordnet. Das Gespräch führt Weise freundlich, entspannt und konzentriert.

Weise untersucht Bundeswehr-Strukturen

Frank-Jürgen Weise ist Chef der Bundesagentur für Arbeit.

(Foto: dpa)

SZ: Herr Weise, wie viel Soldat steckt noch in Ihnen?

Weise: Im guten Sinne einiges. Ich habe in der Offiziersausbildung gelernt, mich immer gut vorzubereiten, strukturiert zu denken, zu sprechen und dem anderen eine Chance zu geben. Das prägt mich sehr. Ich habe bei der Bundeswehr allerdings auch sehr schlechte Erfahrungen mit Vorgesetzten gemacht.

SZ: Zum Beispiel?

Weise: Dumme Quälerei ohne Sinn und Verstand, Vorgesetzte, die ihre Macht und Überheblichkeit spüren lassen. Im "Blauzeug", also in der Ausgehuniform, Liegestütze auf einer Straße machen lassen - niemand kann behaupten, dass das sinnvoll ist. Ich habe aber auch Vorgesetzte erlebt, die offen und ehrlich waren. Insofern war es gut, durchzuhalten und nicht hinzuschmeißen.

SZ: Diese Erfahrungen prägen sicherlich heute Ihren Führungsstil. Wie würden Sie ihn beschreiben?

Weise: Ich höre viel zu und versuche, viel zu verstehen. Ich erarbeite mir Dinge lieber selbst, lese nicht so viele Akten, sondern telefoniere, spreche viel und sammle unterschiedliche Meinungen ein. Wenn dann etwas entschieden ist, sorge ich dafür, dass es wie von einer deutschen Werkzeugmaschine professionell abgearbeitet wird.

SZ: Sie sind aber nicht in Talkshows zu sehen, um den Politikern dort Ratschläge zu erteilen. Gehorcht hier der Soldat Weise der Regierung?

Weise: Das hat nichts mit Gehorsam zu tun. Ich bin nicht der Typ, der überall öffentlich auftreten will, und in Talkshows wäre ich nicht gut. Ich spreche in Berlin offen und klar die Themen der Bundesagentur an, aber nicht öffentlich. Hat die Politik entschieden, ist es mein Job, das ordentlich umzusetzen, die BA zu führen und dafür zu sorgen, dass unsere Leute kompetent, freundlich, schnell und hilfsbereit zu den Kunden sind.

SZ: Zu den Kunden? Haben Sie den Begriff Kunde eingeführt?

Weise: Nein, der war vorher da.

SZ: Finden Sie es gut, Arbeitslose Kunden zu nennen?

Weise: Ich fand den Begriff nicht ideal, in der Abwägung haben aber die Argumente dafür überwogen. Früher ging man in ein Amt, stand demütig da, hockte in irgendeinem Flur herum und wartete, bis man drankam. Uns war klar, das kann nicht sein, dass der Staat sich dem Bürger so präsentiert, der dafür bezahlt. So tauchte der Begriff Kunde auf. Er soll unsere Haltung als Dienstleister gegenüber den Bürgern untermauern.

SZ: Jetzt haben Sie als Chef der Reformkommission mit der Bundeswehr sozusagen einen neuen Kunden. Sind Sie als BA-Chef nicht genug ausgelastet?

Weise: Durchaus. Aber es stärkt die BA, wenn andere von ihren Erfahrungen profitieren und lernen wollen. Daher nehme ich mir gerne die Zeit, zumal ich auch einen Bezug zum Thema habe. Ich nehme für jeden Tag bei der Reformkommission entweder Urlaub bei der BA oder investiere Freizeit und Wochenenden. Die BA ist auch ohne mich stabil, und ich kann trotzdem sagen, dass ich mein Gehalt hier mit Berechtigung beziehe.

Urlaub? Später...

SZ: Haben Sie nie Lust auf richtigen Urlaub?

Bundesagentur gibt Arbeitsmarktdaten bekannt

"Die schwierigsten Kunden der Arbeitsagentur sind die, die von ihren Familien keine Sprachkenntnisse und keine Unterstützung bekommen", sagt Weise.

(Foto: dpa/dpaweb)

Weise: Ich komme eine Zeit lang auch ohne zurecht. Hin und wieder nehme ich einen Tag frei. Nächstes Jahr wird es sicherlich wieder ein bisschen mehr Erholung geben, hoffe ich.

SZ: Sind durchbürokratisierte Großorganisationen wie die BA und die Bundeswehr überhaupt reformierbar?

Weise: Bei der BA hat es Zeit gebraucht, 110.000 Mitarbeiter für etwas Neues zu gewinnen. Der Prozess dauert auch noch an. Deshalb sage ich: Die Bundeswehrreform braucht mindestens sieben Jahre. Auch bei der BA läuft manches immer noch nicht perfekt.

SZ: Was zum Beispiel?

Weise: In unserer Kernaufgabe, der Beratung und Vermittlung, ist unsere Organisation noch nicht überall gleich gut und leistungsfähig. Da gibt es noch zu große Leistungsunterschiede, unabhängig von regionalen Besonderheiten.

SZ: Vor allem funktioniert die Parole "Fördern und fordern" nicht richtig. Sind nicht viel zu viele Hartz-IV-Empfänger "Dauerkunden" und ihr Leben lang auf staatliche Hilfe angewiesen?

Weise: Gemessen am Umgang mit den früheren Sozialhilfeempfängern haben wir große Fortschritte erzielt. Andererseits klappt das Fördern und Fordern in der Tat noch nicht optimal, aber es ist auch ein sehr individuelles Geschäft. Ein Berater muss herausfinden, welchem jungen Menschen er mit Strenge begegnen muss, damit der sich Mühe gibt und es sich nicht im System bequem macht. Dem armen Teufel, der von der Familie keine Anerkennung und Unterstützung kriegt, der in der Schule versagt, muss er Selbstbewusstsein und Aufmerksamkeit geben. Am schwersten tun wir uns mit denen, die in ihren Familien keine Sprachkenntnisse, keine Unterstützung und keine Anleitung bekommen. Da ist unser Niveau nicht zufriedenstellend.

SZ: Müssen die Jobcenter in solchen Fällen noch fordernder sein?

Weise: Ja, in der Hinsicht, dass man unmissverständlich klar macht: Wer hier lebt und arbeiten will, muss unsere Sprache beherrschen. Aber das ist leichter gesagt als getan. Kommt ein Kind nach Hause und es wird dort nur türkisch gesprochen, hilft alles nichts.

SZ: Also doch lieber mehr Sprachkurse anbieten, junge Leute mehr qualifizieren und Ganztagsschulen ausbauen, als Fachkräfte aus dem Ausland zu holen?

Weise: Sie bauen da einen künstlichen Gegensatz auf: Wir müssen Langzeitarbeitslosen Qualifikationen und Sprachkenntnisse so vermitteln, dass sie ins Erwerbsleben kommen. Fachkräfte für sehr qualifizierte Jobs sind allerdings aus dieser Gruppe kaum zu gewinnen. Hinzu kommt der demografische Effekt: Heute haben wir 44 Millionen Erwerbsfähige, ohne Zuwanderung werden es 2050 etwa 26 Millionen sein. Deshalb brauchen wir auch eine gesteuerte Zuwanderung, etwa mit Hilfe eines Punktesystems wie in Kanada, um ausländische Abschlüsse besser bewerten zu können. Ich warne aber davor, die Wirkung zu überschätzen. Warum sollte jemand, der richtig gut qualifiziert ist, ausgerechnet zu uns kommen? Viele Firmen sind im Ausland aktiv und bieten dort auch interessante Jobs an.

SZ: Lohnt es sich für Hartz-IV-Empfänger, als Geringverdiener einen Job anzunehmen, oder ist der Abstand zwischen Niedriglöhnen und staatlichen Leistungen inzwischen zu gering?

Weise: Viele, die in der Grundsicherung sind, geben sich ungeheuer Mühe, einen Zuverdienst zu finden oder eine feste Arbeitsstelle. Es gibt sicher auch welche, die wägen nüchtern ab und sagen, warum soll ich für etwas mehr Geld 40 Stunden in der Woche arbeiten? Da muss man aufpassen, dass diejenigen, die arbeiten, sich nicht irgendwann als die Dummen fühlen. Ich glaube aber nicht, dass das unser Hauptproblem ist.

SZ: Worin besteht es dann?

Weise: Das Schwierigste ist, unsere Problemgruppen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Da sind zum Beispiel die 600.000 Alleinerziehenden. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hat recht, wenn sie sagt, ein Kind dürfe kein Grund für Arbeitslosigkeit sein. Wir müssen auch den jungen Menschen ohne Berufsabschluss unter die Arme greifen. Da sind welche dabei, für die sehr, sehr viel Mühe notwendig sein wird und wo es Jahre bis zu einem Erfolg dauern wird, weil sie von Misserfolgen geprägt sind, aus anderen Kulturen kommen oder aus schwierigen Familien. Unser Ziel ist, allen zu helfen, aber man muss auch sehen, was realistisch machbar ist. Vielleicht ist dann bei den Vermittlungsquoten noch ein Plus von zehn oder 20 Prozent drin.

SZ: Zehn oder 20 Prozent - das heißt, der Rest ist bis zum Lebensende auf Hartz IV angewiesen?

Weise: Nein, das entspricht nicht meinem Menschenbild. Es gibt aber Menschen, denen fehlt eine Qualifikation, denen fehlt Motivation, denen fehlen bestimmte Grundlagen, um eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Da wird es schwierig. Da müssen wir früher eingreifen, spätestens in der Schule, und verhindern, dass es überhaupt so weit kommt.

SZ: Trotz dieser Problemgruppen werden die Quoten immer besser. Im Oktober dürfte die Arbeitslosenzahl unter drei Millionen fallen. Trotzdem verweigern Sie sich jedwedem Jubel. Warum?

Weise: Das sind dann immer noch zu viele Arbeitslose. Zu sagen, alles ist gut, wäre deshalb ein Fehler. Das gigantische Haushaltsdefizit in den USA, die Länderrisiken im Euro-Raum - da sind noch sehr viele gefährliche Unbekannte im Spiel. Außerdem erleben wir gerade einen Abbau von Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe. Das betrifft Gutverdiener, mittleres Alter, mit Eigenheim und Hypotheken. Wir haben im Moment Strukturprobleme, und ich sehe auch nicht, dass sie gelöst werden, denn die Unternehmen bauen neue Standorte eher im Ausland auf und nicht hier.

Die Krux mit der Zweiklassengesellschaft

BA-Vorstandsvorsitzender Weise

"In der Früh bin ich am leistungsfähigsten", sagt Weise.

(Foto: dpa)

SZ: Droht eine Zweiklassengesellschaft am Arbeitsmarkt, einerseits mit Menschen, die schon lange in ihrem Beruf sind und in relativ gesicherten Verhältnissen leben, und andererseits vielen Neueinsteigern, die nur befristete Verträge haben und schlechter bezahlt werden?

Weise: Ich sehe diese Tendenz zum Teil. Die Ursache dafür sind wir alle als Kunden. Wir entscheiden, ob wir ein deutsches Autofabrikat kaufen oder ein asiatisches, oder ob wir für Lebensmittel viel ausgeben oder wenig. Die Unternehmen reagieren nur darauf. Welche Stellen sie anbieten, ist eine Folge davon. Diejenigen, die Arbeit haben, stehen unter dem Schutz der Gewerkschaften und der Tarifverträge. Sie haben das Glück, starke Partner zu haben, die Arbeitslosen haben nur uns. Der Staat muss deshalb aufpassen, dass nicht Menschen zu sehr wegrutschen und die Unterschiede nicht zu groß werden.

SZ: Ist das nicht manchmal schrecklich frustrierend? Wie oft fragen Sie sich: Warum tue ich mir das eigentlich an?

Weise: Ja, Enttäuschungen gibt es manchmal, aber eine Führungskraft muss sich immer wieder motivieren können. Es gibt ja welche, die retten sich in Alkohol oder andere Ablenkungen.

SZ: Sie gehen joggen.

Weise: Ich laufe mich sozusagen leer. Ich bin sehr gerne in der Natur, treibe Sport, spreche mit Leuten meines Vertrauens, höre zu, lasse mich auch ermuntern.

SZ: Stimmt es, dass Sie schon frühmorgens im Büro sind und arbeiten?

Weise: Ich bin in der Früh sehr leistungsfähig. Da treffe ich alle Entscheidungen und bearbeite die schwierigen Fragen. Nachmittags arbeite ich an den Themen, abends bin ich nicht sonderlich leistungs- und entschlussfähig. Ich gehe relativ früh zu Bett.

SZ: Entscheiden Sie auch aus dem Bauch heraus?

Weise: Selten. Wenn ich wirklich nicht weiß, was jetzt das Richtige ist, spreche ich mit Leuten, von denen ich glaube, sie können mir helfen. Irgendwann spüre ich, die Sache ist reif. Dann entscheide ich - und bleibe aufmerksam, um Fehler rechtzeitig zu korrigieren.

SZ: Ihr Vertrag geht noch bis 2012. Machen Sie weiter?

Weise: Das liegt zuerst in der Hand des Verwaltungsrates, der sagen muss, ob er mir die Aufgabe weiter zutraut, oder ob es Zeit ist für einen Wechsel.

SZ: Aber Sie müssen auch wollen. Wollen Sie?

Weise: Die Frage steht im Moment nicht an. Darüber kann ich noch Anfang nächsten Jahres nachdenken. Sicher ist nur eins: Arbeiten will ich immer. Ich könnte mir überhaupt nicht vorstellen, mich auf irgendeine Insel zurückzuziehen und mich auf die faule Haut zu legen.

Steckbrief: Am 8. Oktober 1951 wird Frank-Jürgen Weise in Radebeul bei Dresden geboren. Er kommt nach Westdeutschland und verpflichtet sich 1972 für zwölf Jahre zur Bundeswehr, wird Fallschirmjäger und Kompaniechef. Parallel studiert Weise Betriebswirtschaft und übernimmt nach seinem Abschied von der Truppe Führungsfunktionen in mehreren Unternehmen, unter anderem als Vorstand bei FAG Kugelfischer. Er ist Mitbegründer der Logistik-IT-Firma Microlog, die er an die Börse bringt. 2002 wird das CDU-Mitglied Weise Finanzvorstand der Bundesagentur für Arbeit, im Februar 2004 deren Vorstandsvorsitzender. (urit)

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