Brief an die EU-Kommission:Meuterei gegen Orban

Deutsche Konzerne fühlen sich von Ungarns Regierung diskriminiert - und formulieren einen Brandbrief. Wirtschaftsminister Brüderle springt den Firmen bei.

H.-W. Bein, M. Hesse, T. Öchsner u. M. Winter

Europäische Konzerne greifen Ungarn massiv an. In einem Brief an die EU-Kommission fordern 13 Unternehmensführer Sanktionen gegen das Land. Sie fühlen sich durch Sondersteuern diskriminiert. Wirtschaftsminister Brüderle springt den Firmen bei, die EU prüft die Vorwürfe.

Viktor Orban

"Die Zeit ist jetzt", so warb die Partei von Viktor Orban im April 2010. Nun ist er Ungarns Ministerpräsident - und hat Ärger mit Europas Konzernen.

(Foto: AP)

Ein Start mit Ärger: Die ungarische EU-Ratspräsidentschaft läuft an, und ausgerechnet jetzt mobilisieren mächtige Manager europäischer Konzerne gegen die Politik von Ministerpräsident Viktor Orban. "In den jüngsten Entscheidungen der ungarischen Regierung sehen wir einen Trend, ausgewählte Branchen und insbesondere ausländische Unternehmen zu benutzen, um den Haushalt zu sanieren", heißt es in dem Brief, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Unterzeichnet haben ihn die Chefs der Energiekonzerne Eon, RWE und EnBW, des Versicherers Allianz und der Deutschen Telekom. Die Bonner AG soll Initiator des Vorstoßes sein.

Auch niederländische und österreichische Konzerne sowie der französische Versicherer Axa gehören den Aufständischen an. Die Manager rechnen vor, dass 79 Prozent der Investitionen in Ungarn aus der EU kommen, allein ein Viertel aus Deutschland. Offen drohen die Konzernlenker damit, künftig nicht mehr in Ungarn zu investieren. Konkret richtet sich die Kritik gegen eine von Orban eingeführte Krisensteuer, regulatorische Änderungen und die Rückverstaatlichung der privaten Rentenversicherung. "Als Mitgliedstaat der Europäischen Union muss Ungarn dazu bewegt werden, diese ungerechten Belastungen rückgängig zu machen", heißt es in dem Brief der Frondeure. Die Maßnahmen liefen der "Idee des Binnenmarktes, dem Prinzip der Rechtssicherheit und dem Schutz legitimer Erwartungen massiv zuwider. Sie zerstören jede Vertrauensgrundlage für künftige Investitionen."

Der Vorstoß der Konzerne dürfte auch die politischen Spannungen zwischen Ungarn und den übrigen EU-Mitgliedern verstärken. Das Land war zuletzt auch wegen eines neuen, restriktiven Mediengesetzes in die Kritik geraten. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) kündigt an, die Regierung werde deutsche Konzerne bei ihrem Vorgehen unterstützen. "Abgaben, die vorrangig ausländische Unternehmen betreffen, sind für den europäischen Binnenmarkt grundsätzlich problematisch", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Die Bundesregierung habe daher gegenüber der ungarischen Regierung nach Bekanntwerden der Steuerpläne ihre Besorgnis deutlich gemacht, das Thema werde auch Gegenstand eines Gesprächs zwischen Brüderle und seinem ungarischen Kollegen Tamás Fellegi im Januar sein. "Im Übrigen verfolgen wir aufmerksam die Prüfung des Sachverhalts durch die Europäische Kommission", sagte Brüderle.

Die EU-Kommission wertet die Beschwerden der Unternehmen gegenwärtig aus - um nach zu forschen, ob sie berechtigt sind. "Wir prüfen sie mit höchster Aufmerksamkeit", versichert eine Sprecherin der Brüsseler Behörde. Sollte sich dabei herausstellen, dass Budapest gegen europäische Regeln verstoße, dann werde - wie bei Beschwerden üblich - ein "formelles Verfahren" eingeleitet, an dessen Ende eine Vertragsverletzungsverfahren stehen könnte.

Krisensteuer könnte 1,3 Milliarden Euro bringen

Ob das Schreiben der Unternehmen dazu Anlass bietet, darüber schweigt sich die EU-Kommission noch aus. Die Prüfung liege derzeit in den Händen des für Steuern und Zölle zuständigen Kommissars Algirdas Semeta. Allerdings scheinen der Kommission schon vor dem Beschwerdebrief der Konzerne einige Bedenken über den ungarischen Kurs gekommen zu sein. Jedenfalls hatte sich die für Telekommunikation und digitale Fragen zuständige Kommissarin Neelie Kroes bereits im Oktober, also zwei Monate vor dem Brief der Unternehmen, mit Bitte um Aufklärung über die neuen Belastungen für die Telekommunikation an Ungarn gewandt. Den Ausbau der Kommunikationsnetze und der Internetanschlüsse zu fördern, gehört zu den zentralen wirtschaftspolitischen Vorhaben der EU. Wie es heißt, hat Kroes auf ihre Anfrage bislang noch keine Antwort von der Regierung Orban erhalten.

Die Konzerne rechnen vor, dass die von Orban eingeführte Krisensteuer der Regierung 1,3 Milliarden Euro einbringt - und fast ausschließlich die Sektoren Energie, Telekom, Handel und Finanzdienstleistung betreffe, die von ausländischen Konzernen dominiert werden. Dagegen seien einheimische Firmen von den Steuern teilweise ausdrücklich ausgenommen, etwa im Einzelhandel. Die Energiekonzerne Eon, RWE, EnBW aus Deutschland und OMV aus Österreich erwarten durch die Krisensteuer eine Belastung von knapp 100 Millionen Euro, RWE soll mit 25 Millionen belastet sein, heißt es in Firmenkreisen. Die Telekom-Branche erwartet jährliche Kosten von 220 Millionen Euro, die Finanzbranche sieht die Last bei 735 Millionen Euro.

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