Heinrich von Pierer: Buchvorstellung:Es war einmal

Korruption bei Siemens, war da was? Ex-Chef Heinrich von Pierer will davon nichts mitbekommen haben. Bei seiner Buchvorstellung schwelgt er lieber in Erinnerungen, erzählt von Nacktpartys im Swimmingpool des Nachbarn - und schimpft auf die Medien.

Thorsten Denkler, Berlin

Am Ende verlässt ein Mann das Haus der Bundespressekonferenz in Berlin, der alles versucht hat, um sein Bild in der Öffentlichkeit zu retten.

Ehemaliger Siemens-Vorstandsvorsitzender von Pierer stellt Autobiografie vor

Der ehemalige Siemens-Vorstandsvorsitzende von Pierer stellt seine Autobiographie vor.

(Foto: dapd)

Als Chef von Siemens zog Heinrich von Pierer einst Milliarden-Aufträge an Land. Er kümmerte sich um den Bau von Kernkraftwerken, von großindustriellen Anlagen - Projekte, die die Partner über Jahrzehnte aneinander binden. Da gehe es um "Vertrauen und Glaubwürdigkeit", sagt Pierer, als er an diesem Montag seine Autobiographie vorstellt. Gipfel-Stürme hat er sie genannt.

Vertrauen und Glaubwürdigkeit, diese zwei Zuschreibungen fielen in jüngerer Vergangenheit nicht mehr jedem ein, wenn von Siemens die Rede war. Nicht mehr, seit 2006 die Korruptionsaffäre öffentlich wurde.

Mit gut 1,3 Milliarden Euro haben Siemens-Mitarbeiter weltweit die Landschaft gepflegt, um Konkurrenten auszustechen. Bis heute laufen Ermittlungen, müssen sich ehemalige Topmanager und Vorstandsmitglieder vor Gericht verantworten. Rund 2,5 Milliarden Euro soll den Konzern die Affäre bisher gekostet haben.

Ein Riesen-Skandal. Vor allem für einen Konzern, der sich wie kein anderer öffentlich für gute und verantwortliche Unternehmensführung starkgemacht hatte. Pierer aber, der Siemens von 1992 bis 2005 lenkte und dann bis zu seinem Rücktritt im April 2007 als Aufsichtsratschef darüber wachte, dieser Mann will nichts gewusst haben. Viel habe er "erst über die Medien erfahren, die besser informiert waren als ich", sagt er.

Pierer steht seltsam unbeholfen da, mit seinem Buch in der Hand. Mal hält er es ein wenig höher, mal ein wenig tiefer. Die Blitzlichter der Fotografen erhellen sein Gesicht. Er lächelt so, als wenn er glaubt, so müsse man lächeln, um positiv rüberzukommen.

Die Zeit-Autorin Elisabeth Niejahr führt ihn durch die Stunde. Sie nimmt sein Anliegen ernst, dass es hier um das Buch gehen soll, um sein Lebenswerk genauer, das er darin skizziert. Und das er bedroht sehen muss durch die Vorwürfe und Verdächtigungen, die seine Person betreffen. Von Pierer muss sich fühlen wie einer, den man unehrenhaft aus der Deutschland AG entlassen hat. Der Ruhm ist weg.

Eine Zahlung - aber kein Schuldeingeständnis

Immer noch will er nicht wahrhaben, dass die Affäre auch etwas mit ihm zu tun haben muss. Dass er es als Vorstandvorsitzender nicht geschafft hat, Strukturen im Unternehmen zu etablieren, die Korruption und schwarze Kassen unmöglich machen. Schon gar nicht in diesem Umfang.

Er erinnert sich lieber an seine erste Banane, die er als Vierjähriger nach dem Krieg von Amerikanern geschenkt bekommen habe. Sie schmeckte ihm nicht - er hatte sie mit Schale gegessen.

Oder wie er in der Nacht seiner Abiturfeier mit Freunden nackt im Swimmingpool von Nachbarn geplanscht habe. Der Nachbar holte die Polizei, Pierer flüchtete, verletzte sich an einem Stacheldrahtzaun, musste eine Woche ins Krankenhaus und entschuldigte sich später beim Pool-Besitzer. Der zeigte sich davon beeindruckt und sollte Jahre danach derjenige sein, der Pierer bei Siemens einstellte.

Der Autobiograph rühmt sich, immer gut geerdet gewesen zu sein. Unter anderem, weil er jeden Morgen mit einfachen Mitarbeitern des Konzerns telefoniert habe, um sich ein ungefiltertes Bild zu machen. Manchmal habe er sich auch einfach in die Kantine gesetzt und dort Mitarbeiter in ein Gespräch verwickelt. - "Dass man nicht meint, die Welt, die man da oben erfährt, da ist die wirkliche Welt."

So plätschert auch im Buch Seite um Seite das berufliche Leben Pierers vor sich hin. Erst ganz zum Schluss der mehr als 400 Seiten kommt er im weitesten Sinne auf die Korruptionsaffäre zu sprechen. Nicht um Aufklärung geht es da: Pierer will das öffentliche Bild, das es von ihm gibt, geraderücken.

Immerhin hat er Siemens fünf Millionen Euro überwiesen. Doch die Zahlung an Siemens sei eben "kein Schuldanerkenntnis", schreibt Pierer. Die Summe habe er ausschließlich gezahlt, um weitere Rechtsauseinandersetzungen mit Siemens zu vermeiden.

Auch aus einem Bußgeldbescheid über 250.000 Euro, den er am 1. März 2010 akzeptierte, lässt sich aus Pierers Sicht keine Mitverantwortung ableiten. In dem Bescheid heißt es, er habe es in Bezug auf Bestechungsvorfälle in Argentinien versäumt, "Aufsichtsmaßnahmen zu ergreifen, die erforderlich waren, um die Begehung von Straftaten aus dem Unternehmen heraus zu verhindern".

Angriffe auf die "Journaille"

Pierer erwähnt diesen Passus nicht. Stattdessen schreibt er: "Die gegen mich erhobenen Vorwürfe leuchteten mir nicht ein." Letztlich habe er den Bescheid akzeptiert, weil seine Familie ihn dazu ermuntert habe, um "nun auch hier einen Schlussstrich zu ziehen, um endlich zu einem normalen, selbstbestimmten Leben zurückzufinden".

Wie aber kann es sein, dass einer, der zwölf Jahre lang Siemens als Vorstandvorsitzender geführt hat und von sich sagt, er habe bis auf die untersten Ebenen regelmäßige gute Kontakte zu den Mitarbeitern gehabt, wie kann es also sein, dass dieser Mann nichts von der Korruption bei Siemens gewusst haben will?

Pierer beantwortet die Frage nicht. Stattdessen schimpft er auf die Medien. Und es sei doch "ausgeschlossen", dass er zu "einzelnen Vorgänge, die ich auch nur rudimentär kenne, jetzt Stellung beziehe".

Verantwortung: Das ist wohl der Begriff, mit dem Pierer letztlich Schwierigkeiten hat. "Ich habe mich immer gegen diesen Begriff der politischen Verantwortung gewandt", sagt er. Aber er habe akzeptiert, dass "diese meine Meinung nicht von allen geteilt wird". In der "Journaille" werde das "noch hervorgehobener" gesehen. Schließlich sei er ja auch als Aufsichtsratschef zurückgetreten.

Er benutzt es tatsächlich, das Wort "Journaille". Es steht als Synonym für verantwortungslosen und unlauteren Journalismus, eine Ableitung vom Schimpfwort "Kanaille".

So ist das vielleicht, wenn einer glaubt, ungerechtfertigt in die Enge getrieben worden zu sein. Oder wenn sich einer konsequent den Realitäten verweigert.

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