Opel-Übernahme:Vom Klotz am Bein zur Zukunftsvision

Opel - Werk Kaiserslautern

Soll vom Peugeot-Mutterkonzern PSA übernommen werden: der deutsche Autobauer Opel.

(Foto: picture alliance / Martin Goldha)
  • Übernimmt die Peugeot-Mutterfirma PSA tatsächlich Opel, würde ein neuer Auto-Großkonzern in Europa entstehen.
  • Durch eine Übernahme könnten Investitionen in Elektroautos und autonomes Fahren erleichtert werden. Allerdings wären auch viele Arbeitsplätze in Gefahr.
  • Eine wichtige Frage ist auch, ob der einst so stolze Autobauer Opel überhaupt zu den Franzosen passt.

Von Thomas Fromm, Max Hägler und Leo Klimm

Es gab einmal eine Zeit, da baute Opel Autos, die Kapitän, Admiral oder Diplomat hießen und wohl auch für solche gedacht waren. Zum Beispiel das Modell Kapitän: Ende der Fünfzigerjahre sah diese Chrom-Burg mit ihren Heckflossen mehr nach amerikanischem Lifestyle aus als nach Rüsselsheimer Familienkutsche. Wer einen solchen Tanker fuhr, der war in den Wirtschaftswunderjahren schon weit oben angekommen - und konnte das auch zeigen.

Es war die Zeit, in der in Frankreich ein Auto gebaut wurde, das weder nach Highway noch nach Wirtschaftswunder aussah, ein Auto, das keinen großen Kühlergrill brauchte und auch keine Heckflossen: Die luftgefederte Limousine von Citroën hieß "DS", war eine Art futuristisches Design-Gesamtkunstwerk, und aus dem Namen wurde schnell "Déesse", die Göttin. Zwei ganz unterschiedliche Kulturen, auch als Jahre später Opel kleinere Autos baute. Lange bevor sich Steffi Graf im weißen Tennistrikot auf die Motorhaube eines Opel Corsa legte, stand Brigitte Bardot in einem schwarzen Abendkleid vor einem Citroën DS. Beide Bilder hatten ihre eigene Botschaft. Die eine lautete: Opel ist sportlich. Und die andere: So sieht es aus, wenn zwei Göttinnen nebeneinanderstehen.

Steffi Graf und Brigitte Bardot - passt das zusammen?

Die Sache mit dem Kapitän, der Göttin, der Graf und der Bardot ist deswegen ganz interessant, weil Opel schon bald zu dem französischen Autobauer PSA Peugeot Citroën gehören könnte. Zwei Milliarden Euro könnte das kosten, heißt es. Und das könnte dann, aus verschiedenen Gründen, ein interessantes Experiment werden.

Citroën gehört seit 1975 zu Peugeot; Opel ist eine Tochter des US-Autobauers General Motors, der die Deutschen aber nach fast 90 Jahren loswerden will. Die letzten Jahre unter der amerikanischen Mutter waren nicht schön, 2009 wollte Detroit die Rüsselsheimer an den österreichisch-kanadischen Zulieferer Magna verkaufen, dann wollte Fiat die Deutschen haben, dann wollte GM Opel lieber doch behalten. Mal so, mal so. Einige sprachen damals von einer Rabenmutter, die ihre Tochter an der kurzen Leine hält. Aber was will man tun, wenn man die Tochter ist? Wie würden Steffi Graf und Brigitte Bardot zusammenpassen?

Opel ist GM ein Klotz am Bein, aber der PSA-Chef mag Klötze

Chronik einer denkwürdigen Woche: Am Dienstag wurde bekannt, dass die Opel-Mutter GM und PSA schon länger über einen Opel verhandeln. GM will verkaufen, weil Opel seit vielen Jahren keine Gewinne mehr gemacht hat. Opel ist den Amerikanern nur noch ein Klotz am Bein. PSA-Chef Carlos Tavares dagegen weiß, wie man mit Klötzen umgeht. Innerhalb von drei Jahren hat er aus dem Sanierungsfall PSA wieder eine Firma gemacht, die Geld verdient. Jetzt käme der nächste Schritt: Größe und Territorium. Mit Opel will der Portugiese in Deutschland und in Großbritannien zulegen und damit dem Marktführer Volkswagen auf die Pelle rücken. Der Moment könnte nicht besser sein: Die Wolfsburger sind wegen der Dieselaffäre mit sich selbst beschäftigt.

Natürlich gingen mit Opel und PSA nicht gerade die Stärksten der Branche zusammen. Aber ein Tavares kalkuliert so: Wenn PSA und Opel zusammen sind, dann lassen sich die hohen Investitionen in Elektroautos und autonomes Fahren locker durch zwei teilen. Klingt gut. Für den einst stolzen Autobauer Opel aber, der erst in den vergangenen Jahren sein Werk in Bochum abgewickelt hat, könnte das heißen: Tausende Stellenstreichungen, Schließung ganzer Werke wie Eisenach.

Jobs in Gefahr, Werke überflüssig, Vorstände doppelt - Management und Arbeitnehmervertreter in Rüsselsheim könnten nun den Aufstand proben. Aber sie halten sich auffallend zurück. IG Metall, Opel-Gesamtbetriebsrat und der europäische Betriebsrat für Opel und die britische Schwester Vauxhall boten "konstruktive Gespräche" mit PSA an. Was konstruktiv ist? "Wir erwarten, dass alle Tarifverträge im Falle eines Kaufs ihre Gültigkeit behalten, dass alle Standorte und Arbeitsplätze gesichert bleiben", erklärte Jörg Köhlinger von der IG Metall. "Alle Beschäftigten brauchen diese Gewissheit." Opel-Chef Karl-Thomas Neumann hatte drei Tage lang in der Öffentlichkeit geschwiegen. Am Freitag schrieb er den Mitarbeitern, es könne ein "europäischer Champion" entstehen. Und er twitterte: "Habe großes Verständnis für die vielen Fragen."

Es ist die Stunde der Welterklärer, Taktierer und Zocker

Auch Neumann hat wohl Fragen. Er soll erst spät von der Konzernmutter darüber informiert worden sein, dass sie Opel verkaufen möchte - wie genau es mit ihm bei Opel weitergeht, hängt wohl von den Gesprächen der kommenden Wochen ab. Die aber führen in erster Linie: GM und PSA.

Die Franzosen wollten den Übernahmeplan eigentlich länger unter Verschluss halten, heißt es in Paris. Aber nachdem die Sache ans Licht gekommen war, schickte Tavares gleich ein paar Vorstände nach Deutschland, um bei Opel, der IG Metall und der Regierung vorzufühlen. Die Mission: Nehmt den Deutschen ihre Ängste!

Daher lautet einer der Botschaften der Emissäre aus Paris, Tavares könnte durchaus Standortzusagen für die drei deutschen Opel-Werke geben, zumal die GM-Tochter ohnehin noch mehrere Jahre durch Verträge mit der IG Metall gebunden ist. Einige Tausend Opel-Ingenieure, so heißt es in Paris, könnte man zur Entwicklung wichtiger Zukunftstechnologien wie Elektromotoren oder selbstfahrender Autos ohnehin ganz gut gebrauchen.

Dabei weiß man schon seit den Opel-Verkaufsverhandlungen vor einigen Jahren: Wenn es um Opel und seine Arbeitsplätze geht, schlägt die Stunde der Welterklärer, der Taktierer und Zocker.

Die "Méthode Tavares" würde Opel wehtun

Und, Mesdames et Messieurs, es geht schon los: Die Bedenken, PSA und Opel seien sich zu ähnlich, um sich zu ergänzen, verkehren die Franzosen kurzerhand in ein Argument pro Übernahme: Die beiden Unternehmen fügten sich bestens zusammen, weil Peugeot im Westen und Süden Europas stark sei, Opel dagegen auf dem deutschen Markt, so ein PSA-Sprecher. "Die Idee hinter all dem ist, eine solide Basis in Europa zu haben, um das internationale Wachstum des Konzerns zu finanzieren."

Ob zur "soliden Basis" nur viele Autohäuser gehören oder auch viele Autofabriken, das ist die Frage. Ohnehin passen die Besänftigungen nicht so recht zur Méthode Tavares, der Tavares-Methode, die in Paris gern gerühmt wird - und im Fall einer Übernahme vom Opel-Management angewendet werden soll: Eine ziemlich spritzige Cuvée aus hartem Druck und scharfem Sparkurs, mit dem jährlich 2000 Stellen in Frankreich abgebaut werden.

Frankreichs Wirtschaftsminister Sapin soll "stinksauer" gewesen sein

Nicht nur in Deutschland, selbst die eigene Regierung hat Tavares mit seinem geheimen Übernahmeplan irritiert. Im Pariser Wirtschaftsministerium, immerhin einer der Hauptaktionäre von PSA, will man aus den Medien von den Verhandlungen erfahren haben. "Das war sehr unkorrekt, Michel Sapin war stinksauer", sagt eine Sprecherin des Wirtschafts- und Finanzministers. In der Sache unterstütze Frankreich das PSA-Management beim Versuch, PSA größer zu machen. Das solle angesichts der Überlappungen zwischen den Herstellern aber möglichst sozialverträglich passieren. "Wir wollen nicht, dass PSA Schäden in Deutschland oder bei Vauxhall in Großbritannien anrichtet", so Sapins Sprecherin.

In Paris weiß man: Aus dem Streit zwischen Managern und Gewerkschaftern kann schnell mal auch ein Streit zwischen Hauptstädten werden. Nächsten Donnerstag zum Beispiel erwartet Wirtschaftsminister Sapin seine deutsche Amtskollegin Brigitte Zypries zum Mittagessen. Es soll darum gehen, wie ausgerechnet im harten Autogeschäft eine sanfte Übernahme zu bewerkstelligen sein soll.

Die größten Sorgen müssen sich wohl die britischen GM-Mitarbeiter machen. Der Agentur Reuters zufolge soll die PSA-Leitung mit GM schon über Stellenstreichungen und Werksschließungen bei Vauxhall reden. Die Standorte nahe Liverpool und London mit gut 4500 Mitarbeitern sind wegen des EU-Austritts der Briten nicht mehr attraktiv. Wirklich ruhig sind derzeit wohl nur die französischen Gewerkschaften - was beachtlich ist, denn sonst sind sie kaum zu überhören. Hier weiß man: Peugeot hat als Käufer das geringste Risiko. "Die Gruppe will zum Weltkonzern wachsen, Opel könnte ein schönes Sprungbrett sein", heißt es bei der Gewerkschaft Force Ouvrière. "Nur die französischen Werke dürfen nicht kannibalisiert werden."

Just an diesem Freitag verkündete PSA, 200 Millionen Euro in die Modernisierung seines Stammwerks im ostfranzösischen Sochaux zu investieren und neue Leute einzustellen - während man bei Opel zittert. Es braucht wenig Fantasie: Die Unternehmen, die einst Steffi Graf und Brigitte Bardot vor ihre Autos stellten, werden noch eine Menge zu besprechen haben. Um Stilfragen geht es dabei weniger.

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