Korruptionsaffäre:Ex-Siemens-Chef Pierer zu langer Haft verurteilt

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Heinrich von Pierer (Archivbild) war bis 2005 Siemens-Chef, anschließend leitete er bis 2007 den Aufsichtsrat des Münchner Konzerns.

(Foto: Peter Schatz/imago)
  • Siemens soll zwischen 1998 und 2003 insgesamt 14 Führungskräfte der damals teilstaatlichen griechischen Telekommunikationsgesellschaft OTE bestochen haben.
  • Pierer und dem früheren, mittlerweile verstorbenen Finanzvorstand, Heinz-Joachim Neubürger, warf die Anklage vor, sie hätten die oberste Kontrolle über das Schmiergeldsystem ausgeübt.
  • Welche Folgen die Urteile für Pierer und weitere sechs Deutsche haben werden, ist noch unklar.

Von Christiane Schlötzer und Tasos Telloglou, Athen

Eine alte Affäre holt Ex-Siemens-Chef Heinrich von Pierer jetzt noch einmal ein. Am Montag wurde der 78-jährige frühere Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzende der Siemens AG von einem Athener Gericht zu 15 Jahren Haft verurteilt, wegen Geldwäsche. Dabei ging es um schwarze Kassen und eine Schmiergeldaffäre, die Siemens und Griechenland vor 13 Jahren erschütterte. Erst 2017 begann der Prozess in Athen mit 64 Angeklagten. Zehn von ihnen verstarben während des Mammutverfahrens, 22 bekamen nun Haftstrafen zwischen sechs und 15 Jahren, darunter mehrere ehemalige Siemens-Manager.

Am Anfang der Siemens-Saga standen Ermittlungen der Münchner Staatsanwaltschaft. Sie hatte 2006 bei dem Konzern ein weltumspannendes System schwarzer Kassen entdeckt. Mit dem Geld wurden Amtsträger und Auftraggeber bestochen. Die Erkenntnisse der Münchner Ermittler führten zu Prozessen in mehreren Ländern. Auch in Deutschland bekamen es einige Siemens-Manager mit der Justiz zu tun. Ein Verfahren gegen Pierer wurde gegen 250 000 Euro Bußgeld eingestellt. Fünf Millionen Euro Schadenersatz zahlte er an Siemens. Mit der griechischen Regierung einigte sich der Konzern auch schon vor Jahren auf einen finanziellen Ausgleich. Den Prozess hat dies nicht verhindert. Er sollte 2015 beginnen, als Griechenland mit den anderen Euro-Ländern über Milliardenkredite für seine Rettung vor dem Staatsbankrott stritt.

Nützliches Politikum

Für die damalige Regierung des Linkspolitikers Alexis Tsipras war die alte Affäre ein durchaus nützliches Politikum. Das Verfahren wurde dann noch ein paar mal verzögert, unter anderem, weil die 4500 Seiten starke Anklageschrift zuerst nur auf Griechisch vorlag - aus Kostengründen.

Die Vorgänge reichen bis in die Vorkrisenzeit zurück. Siemens soll zwischen 1998 und 2003 insgesamt 14 Führungskräfte der damals teilstaatlichen Telekommunikationsgesellschaft OTE bestochen haben, mit fast 70 Millionen Euro, für einen Milliardenauftrag zur Netzmodernisierung. Die Anklage benannte Banken, Konten, Mittelsmänner und Empfänger. Siemens hatte auch die beiden großen Parteien in Griechenland gesponsert, die sozialistische Pasok, die inzwischen zur Kleinpartei geschrumpft ist, und die konservative Nea Dimokratia, die nun wieder regiert.

Pierer und dem früheren Finanzvorstand, Heinz-Joachim Neubürger, warf die Anklage vor, sie hätten die oberste Kontrolle über das Schmiergeldsystem ausgeübt. Neubürger ist inzwischen verstorben. Pierer bestritt stets, er habe von der Bestechung gewusst. In Athen gab der frühere "Mr. Siemens" 2014 als Beschuldigter zu Protokoll: Er sei für 500 000 Beschäftigte zuständig gewesen, er habe sich nicht um einzelne Zahlungen kümmern können.

Welche Folgen die Urteile für Pierer und weitere sechs Deutsche haben, hängt davon ab, ob das Gericht ihnen zugesteht, bis zur zweiten Instanz auf freiem Fuß zu bleiben und ob Athen Europäische Haftbefehle verlangt. Darüber wollte das Gericht noch entscheiden. Pierers griechischer Anwalt legte dem Gericht ein ärztliches Attest vor, in dem es heißt, der 78-Jährige leide an Krebs im Endstadium. Der Anwalt zweifelte zudem an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens, da die Affäre in Deutschland bereits Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen war. "Wir werden beantragen, dass das Urteil in Deutschland nicht vollzogen wird, weil es gegen elementare rechtsstaatliche Prinzipien verstößt", heißt es in einer Erklärung Pierers vom Montag, der zudem ankündigt, Berufung einzulegen.

Erst Freispruch beantragt - jetzt eine hohe Strafe

Verurteilt wurden auch der frühere Siemens-Vorstand Thomas Ganswindt zu 13 Jahren Haft, das Verfahren in München gegen ihn wurde 2011 gegen eine Geldbuße von 175 000 Euro eingestellt. Je sieben Jahre Haft erhielten die Ex-Manager des Konzerns Michael Kutschenreuter, Reinhard Siekaczek, Wolfgang Rudolph, Hans Jagemann und Franz Richter. Die Staatsanwaltschaft hatte ihnen mehrheitlich attestiert, sie hätten ihre Taten "bereut". In dem Prozess hatten sie sich durch Anwälte vertreten lassen, was in Griechenland möglich ist.

Pierer dagegen war persönlich aufgetreten. Im Juni hatte die Staatsanwältin Freispruch für ihn beantragt. Das Gericht aber verhängte nun die hohe Strafe, weshalb Prozessbeobachter rätselten, welches Ereignis seit dem Sommer hier wohl eine Rolle spielte. Anfang Juli wurde das griechische Strafgesetzbuch revidiert.

Beamtenbestechung konnte früher mit bis zu lebenslanger Haft geahndet werden. Diese drakonische Vorschrift von 1950 wurde abgeschafft. Und die OTE, inzwischen teils im Besitz der Deutschen Telekom, ist nun ein privates Unternehmen. Für die Angeklagten wurde damit rückgängig die günstigeren Strafvorschriften angewandt. Nicht aber für Pierer - womit der Mann, der in der Siemens-Hierarchie ganz oben stand, unter den deutschen Angeklagten auch die höchste Strafe erhielt.

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