Design und angewandter Psychologie:Plötzlich ist die Oma zugeschaltet

Welche Technik bereichert das Leben? Diese Frage ist wichtiger als Design- und Hightech-Kult, sagt Marc Hassenzahl von der Folkwang-Universität der Künste in Essen.

Ulrich Pontes

Marc Hassenzahl ist Professor für "User Experience" und Ergonomie an der Folkwang-Universität der Künste in Essen. Nach einem Psychologiestudium und einer Promotion im Bereich Entscheidungsforschung und Sozialpsychologie arbeitet Hassenzahl jetzt im Grenzbereich zwischen Design und angewandter Psychologie, wo es unter anderem darum geht, wie Technologie das Leben ihrer Nutzer verändert und wie diese Veränderungen bewusst gestaltet werden können.

Handy

"Wie oft sitzen Sie mit Ihrer Partnerin für eine Stunde auf dem Sofa, schauen sich tief in die Augen und reden pausenlos miteinander?" Marc Hassenzahl versucht, die Erlebnisse, die mit einem Produkt entstehen, zu gestalten.

(Foto: iStockphoto/Tommy Ingberg)

SZ: Faszinations- und Frusterlebnisse kennt natürlich jeder Techniknutzer. Aber worum geht es Ihnen, wenn Sie sich wissenschaftlich mit der Frage beschäftigen, wie Nutzer ein Gerät oder eine Software erleben?

Hassenzahl: Im "Experience Design" versuchen wir nicht Produkte zu gestalten, sondern die Erlebnisse, die mit einem Produkt entstehen. Man kann eben Telefone designen - oder aber Kommunikationserlebnisse.

SZ: Erzeugt nicht der Gesprächspartner das Erlebnis beim Telefonieren?

Hassenzahl: Ja, aber die Technologie formt auch unser Erlebnis. Ein Telefon ist zwangsläufig konversationsbasiert, man kann, beziehungsweise muss miteinander reden. Dabei gibt es so viele andere Arten, miteinander zu kommunizieren.

Wie oft sitzen Sie mit Ihrer Partnerin für eine Stunde auf dem Sofa, schauen sich tief in die Augen und reden pausenlos miteinander? Selten schätze ich. Aber bei räumlicher Trennung werden Sie vom Telefon, oder jetzt der Videotelefonie, jedes Mal in genau so eine Situation gezwungen. Viele Leute hassen es zu telefonieren, selbst mit ihren Lieben, und zwar genau aus diesem Grund.

SZ: Sie wollen fernmündliches Kuscheln ermöglichen?

Hassenzahl: In gewisser Weise. Kommunikation ist eben vielschichtiger als der bloße Austausch von Information. Emotionaler Ausdruck ist wichtig, die Anwesenheit des anderen spüren, etwas gemeinsam tun, sich Geschenke machen, gemeinsam in Erinnerungen schwelgen. Wir überlegen deshalb: Wie muss ein Produkt, eine Technologie, gestaltet sein, um derartige Erlebnisse der Verbundenheit und Nähe zu ermöglichen?

SZ: Vieles geht doch schon. Man kann sich Liebesbotschaften per MMS schicken, man kann skypen und dabei kochen oder fernsehen.

Hassenzahl: Natürlich. Manche Leute nutzen - ich würde sagen: verfremden - die vorhandene Technologie, um ihre Bedürfnisse damit halbwegs abzudecken. Das ist ein technikzentrierter Ansatz. Wir rücken stattdessen den Mensch in den Mittelpunkt und gehen von seinen Bedürfnissen aus, um die Technologie genau darauf abzustimmen.

SZ: Wie sieht das konkret aus?

Hassenzahl: Nehmen Sie ältere Menschen, die alleine leben. Da zeigt sich, das Telefon ist sehr wichtig, macht aber auch Probleme: Wer den ganzen Tag zu Hause sitzt, hat oft nicht viel zu erzählen. Dadurch wird es mühsam, ein Gespräch in Gang zu halten. Oft rufen sie gar nicht mehr an, um nicht zur Last zu fallen. Wir haben einen Minibeamer genommen, eine Webcam und ein Richtmikrofon. Das haben wir bei einer alten Dame und bei ihrer Familie jeweils über den Esstisch gehängt und dauerhaft per Skype (Internet-Videotelefonie) verbunden. Damit ist auf der Tischplatte ein Ort entstanden, an dem man miteinander sprechen, und vor allem etwas tun kann.

SZ: Ein Bildtelefon, das die Tischplatte statt den Gesprächspartner zeigt?

Hassenzahl: Genau. Indem ich meine Hand auf den Tisch lege, sieht der andere diese Hand auf seinen Tisch projiziert und umgekehrt. In unserem Versuch entstand daraus spontan ein neues, müheloses Kommunikationsverhalten: Die alte Dame und ihre Angehörigen haben miteinander gegessen und Sudokus gelöst. Die Enkel haben manchmal im Vorbeiflitzen reingerufen, und wenn die Oma am Tisch saß, hat sie geantwortet. Die Tochter konnte ihrer Mutter helfen, die Tabletten nicht zu verwechseln, und Post-Its hinkleben, um an Dinge zu erinnern.

SZ: Wird daraus ein Produkt? Ein Tischbildtelefon für Großeltern?

Hassenzahl: Ja. Wir sind überzeugt, dass man Technologie nur richtig gut machen kann, wenn sie gezielt auf eine bestimmte Situation, ein bestimmtes Bedürfnis zugeschnitten ist. Je mehr Funktionen Sie in etwas reinpacken, umso mehr geht die Spontaneität verloren.

SZ: Wie bei Smartphones, deren Funktionsvielfalt viele überfordert - und mit E-Mails rund um die Uhr stresst?

Hassenzahl: Ja, da steht das Gerät mit seinen Möglichkeiten im Mittelpunkt, nicht der Mensch mit seinen Bedürfnissen. Aber es geht mir nicht nur um die vielen Funktionen eines Handys. Allein das Telefonieren hat so unterschiedliche Gründe. Nähe zur Oma ist etwas anderes als Verbundenheit mit dem Partner. Dafür wäre es hilfreich, jeweils passende Kommunikationswerkzeuge zu haben.

SZ: Wie kann man erkunden, was davon Nutzer wirklich wollen?

Hassenzahl: Wir leben in einer postmaterialistischen, erlebniszentrierten Gesellschaft. Immer mehr Menschen wollen Produkte nicht mehr um des Produkts willen, als Statussymbol, sondern sehen das Anhäufen von Gegenständen kritisch.

Sie fragen stattdessen: Wie bereichert ein Produkt mein Leben? Sie suchen Entschleunigung, Einzigartiges, Selbstgemachtes statt Massenware. Die Musikindustrie verkauft keine Platten mehr, sondern Konzerterlebnisse. Es gibt Studien die zeigen, dass 100 in ein Erlebnis investierte Euro glücklicher machen, als dieselbe Investition in etwas Materielles. Das wissen auch Unternehmen.

SZ: Die Firmen hoffen wohl, dass sie statt Telefonen bald Erlebniskommunikationsanlagen verkaufen können.

Hassenzahl: Wirtschaftlich sollte es interessant sein, aber Unternehmen tun sich strukturell schwer. Wer Telefone produziert oder Telefonnetze betreibt, ist darauf fixiert. Für neue Kommunikationserlebnisse gibt es keine Abteilung, keine Ansprechpartner, niemanden, der das bis zur Marktreife führen würde.

SZ: Wie steht es mit dem Apple-Kult? Die Firma steht doch für sinnliche, erlebnisreiche Produkte.

Hassenzahl: Was Apple geschaffen hat, ist eine Ästhetik der Interaktion: Ein iPhone zu bedienen fühlt sich gut an. Und es ist natürlich hochwertig gestaltet. Aber von den Funktionen her bleibt es ein normales Handy. Zudem ist es teuer und ein Statussymbol.

Wir dagegen wollen erschwingliche, vielleicht auch eher unansehnliche Produkte machen, die aber über ihre technische Hülle hinauswachsen. Ein Beispiel für Experience Design, das Sie schon kaufen können, ist ein Wecker, der Sie mit langsam heller werdendem Licht sanft weckt. Dieses Produkt ist weder technisch eine Herausforderung, noch ist sein Design oder seine Bedienung etwas Besonderes. Aber es gibt Ihnen ein vollkommen verändertes, besseres Aufwacherlebnis. Dieses Erlebnis ist das eigentliche Produkt.

SZ: Erlebnisse, die der Designer vorgibt, ist das nicht letztlich Manipulation?

Hassenzahl: Zugegeben: Design ist hier normativ. Aber neue Technologien haben schon immer die Lebenswelt der Menschen aktiv verändert. Technologien wie das Briefeschreiben oder das Telefon wurden einfach in die Welt geworfen. Die Leute mussten dann sehen, wie sie das kulturell und emotional angemessen nutzen können. Wir kehren den Prozess um, und fragen am Anfang: Was wollen die Menschen, warum tun sie bestimmte Dinge, welche Motive treiben sie an? Das versuchen wir durch unsere Produkte abzubilden, um so - empirisch fundiert - das Leben besser und die Menschen glücklicher zu machen.

SZ: Beschneiden maßgeschneiderte Erlebnisse nicht Individualität und kreativen Freiraum?

Hassenzahl: Es gibt natürlich Leute, die sind so kreativ, die brauchen unsere Produkte nicht. Aber für die meisten gilt doch: In manchen Bereichen des Lebens ist man für Anregungen dankbar. Nicht umsonst gibt es so viele Ratgeberbücher! Was wir entwerfen, ist eine Art Produkt gewordener psychologischer Ratschlag. Da gibt es Leute, die ihn gern annehmen, und andere, die ihn nicht nötig haben. Beides ist in Ordnung.

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