Psyche und Entwicklung:Kinder außer Rand und Band

Unausgeglichene, labile Kinder haben ein hohes Risiko, auch als Erwachsene unter Problemen zu leiden. Sie werden häufiger krank, sind finanziell schlechter gestellt und geraten öfter mit dem Gesetz in Konflikt.

Werner Bartens

Jeder kennt diese Nervensägen - sie können sich nicht konzentrieren, sind hyperaktiv, ihre Frustrationstoleranz ist gleich null, und warten, bis sie drankommen, können sie auch nicht.

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Emotional überschießende Kinder haben als Erwachsene häufiger gesundheitliche und berufliche Probleme. Aber wer lernt, mit seinen Gefühlen verträglicher umzugehen, kann sein Leben noch in günstigere Bahnen lenken.

(Foto: ieniemienie/photocase.com)

Für Lehrer und Eltern ist dieses Verhalten von Kindern vor allem anstrengend, im Erwachsenenalter wird es zu einem Nachteil. Wer mit drei Jahren oft unausgeglichen ist und seine Gefühle kaum unter Kontrolle hat, bekommt auch 30 Jahre später Schwierigkeiten.

Ein internationales Forscherteam berichtet an diesem Dienstag in der Fachzeitschrift PNAS, dass emotional überschießende Kinder häufiger krank und drogenabhängig werden, finanziell schlechter gestellt sind und öfter mit dem Gesetz in Konflikt geraten, wenn sie erwachsen sind.

"Man kann den voraussichtlichen Erfolg im gesundheitlichen wie beruflichen Bereich schon im Vorschulalter bestimmen", sagt die Psychologin Terrie Moffitt von der Duke University.

Die Wissenschaftler um Moffitt hatten 1000 Kinder im Alter von drei Jahren untersucht und 30 Jahre lang ihre Entwicklung beobachtet. Unruhige, emotional labile Kinder litten später nicht nur häufiger an Bluthochdruck, Übergewicht, Geschlechtskrankheiten und Atemproblemen; sie hatten auch mehr Schulden, seltener ein Eigenheim, waren häufiger alleinerziehend und tranken öfter Alkohol.

Weil die Ergebnisse so überraschend deutlich waren, untersuchte das Forscherteam weitere 500 Zwillingspaare in Großbritannien. Auch hier zeigte sich, dass Geschwister, die ihre Gefühlsausbrüche im Alter von fünf Jahren kaum im Griff hatten, mit zwölf Jahren häufiger rauchten, schlechter in der Schule abschnitten und sich öfter unsozial verhielten.

"Die Selbstkontrolle macht sogar bei Zwillingen einen wichtigen Unterschied aus, die ja die gleichen Eltern, einen ähnlichen Alltag und nahezu identische Gene haben", sagt Avshalom Caspi, der Leiter der Forschungsgruppe.

Ein vorbestimmtes Schicksal bedeuten die unkontrollierten Gefühlswallungen im Kindesalter dennoch nicht. Wer lernt, mit seinen Gefühlen verträglicher umzugehen, kann sein Leben noch in günstigere Bahnen lenken.

"Es ist nie zu spät dafür, aber je älter die Kinder sind, desto dichter müssen die emotionalen Neuerfahrungen sein, die sie dann noch machen", sagt Bindungsexperte Karl Heinz Brisch vom Haunerschen Kinderspital der Universität München. "Erfahren die Kinder in einer therapeutischen Beziehung oder durch Vorbilder immer wieder, wie sie mit starken Gefühlen wie Angst, Panik oder Wut besser umgehen können, wird das irgendwann auch innerlich verankert."

Oft haben Eltern ebenso Hilfestellung nötig wie die Kinder, hat Brisch erfahren, der die Abteilung für Psychosomatik und Psychotherapie im Kinderspital leitet. "Ein Zehnjähriger mit einem Wutanfall braucht jemanden, der ihn nicht ins Zimmer schickt, sondern bei ihm bleibt", sagt Brisch. "Der sich einfühlt in die Innenwelt des Jungen und mit Worten widerspiegelt, wie elend sich das Kind gerade fühlt." Der Zehnjährige ist dann im Idealfall nicht mehr wütend, sondern schimpft vor sich hin, bis er ruhig darüber reden kann.

Darum geht es schließlich: Heftige Gefühle in Worte und nicht in feindliches Handeln umzusetzen. Das schont private wie berufliche Beziehungen und die Gesundheit, statt sie zu ruinieren.

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