Medikamente:Krankheit als Geschäft

Vorsorge vor Osteoporose

Pharmavertreter wollen beeinflussen, welche Medikamente Ärzte verschreiben oder empfehlen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Pharmaindustrie bezahlt Unsummen für das Marketing der Produkte. Das dient nicht Patienten und Ärzten. Die brauchen unabhängige Informationen über den Nutzen und Schaden von Medizin.

Kommentar von Werner Bartens

Die Summe ist gewaltig. 29,9 Milliarden Euro gibt die Arznei- und Medizintechnikbranche jedes Jahr allein in den USA aus, um ihre Produkte zu bewerben, wie eine Analyse gerade gezeigt hat. Die Ausgaben sind zuletzt kontinuierlich gestiegen, wobei der größte Anteil des Marketings nicht auf die Konsumenten, also auf potenzielle Patienten abzielt, die angesprochen werden sollen.

Zwei Drittel der Ausgaben - 20 Milliarden Dollar - richten sich vielmehr direkt an die Ärzte und andere Gesundheitsberufe. Sie sind es schließlich, die Medikamente verschreiben und Operationen empfehlen, auch wenn der Markt der frei verkäuflichen Pillen und Präparate ständig wächst.

Die medizinischen Meinungsführer in den Praxen und Kliniken sind für die Pharmabranche wichtig. Sie bestimmen, was geschluckt, gespritzt und behandelt wird; sie gilt es zu überzeugen. Auf unabhängige Informationen kann man in den Werbekampagnen natürlich nicht hoffen.

Das ist zwar eigentlich jedem klar, trotzdem lohnen sich für Arzneimittelfirmen auch weiterhin die mehr als 16 000 Pharmavertreter, die allein hierzulande Doktoren heimsuchen. Unabhängige Informationen und pharmafreie Fortbildungen werden im medizinischen Alltag immer noch viel zu selten nachgefragt und angeboten. Auch in Deutschland wachsen die Ausgaben für Pharmamarketing beständig und haben längst den Anteil für Forschung und Entwicklung übertroffen.

Die steigenden Summen für das Marketing wie auch das Plus an Gewinnen verdecken jedoch, dass Big Pharma seit Jahren in der Krise steckt. Die großen Entdeckungen und Markteinführungen wichtiger innovativer Medikamentengruppen reichen in die 1970er-, 1980er und frühen 1990er-Jahre zurück. Seitdem gab es nur wenig grundstürzend Neues, aber zahlreiche Variationen des Gleichen. Bereits vor 15 Jahren riefen Vorstandsvorsitzende der Pharmafirmen ihre Mitarbeiter dazu auf, vermehrt auf Nischenprodukte zu setzen, da die Zeit der Blockbuster für die großen Volksleiden vorbei sei.

Seitdem werden vermehrt Beschwerden im Graubereich zwischen gesund und krank zu therapiebedürftigen Leiden umdefiniert - und Medikamente entwickelt, die noch auf der Suche nach ihrer Berechtigung sind. Besonders großen Zuwachs innerhalb des Marketings haben denn auch "Awareness-Kampagnen". Damit soll das Bewusstsein für Krankheiten geweckt werden, die bisher keiner oder nur einer dezenten Behandlung bedurften - oder es wird mit Hilfe von Selbsthilfegruppen politischer Druck erzeugt, damit neue und zumeist wenig geprüfte Medikamente schneller zugelassen werden. Gesund ist das alles nicht.

Medizinisches Marketing bringt es mit sich, dass Vorteile von Präparaten übertrieben und Nachteile beschönigt oder verschwiegen werden. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker? Wenn sich Patienten hauptsächlich auf die Reklame der Industrie verlassen, können das unzuverlässige Ratgeber sein. Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Medikamente ist in Deutschland nicht erlaubt. Das ist richtig und wichtig. Ebenso wichtig wäre es allerdings, Fachwerbung für Ärzte endlich mit unabhängig erstellten Angaben zum Nutzen und Schaden der Mittel zu versehen - das wäre eine Innovation zum Wohle der Patienten.

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