Digitale Gesellschaft:Eine verdammt gute Show

A tourist walks inside Attalos Arcade in the ancient agora in Athens

Die alte Agora am Fuße der Akropolis - hier wurde die Demokratie erfunden.

(Foto: John Kolesidis/Reuters)

Wie man den Aufgeregten und Dauerbeleidigten in den sozialen Medien endgültig entkommen könnte.

Von Philipp Bovermann

Facebook möchte sich künftig stärker auf private Kommunikation ausrichten, auf geschlossene oder halb-öffentliche Gruppen und private Chats. Mark Zuckerberg erklärte vergangene Woche in einem Blogeintrag, die Nutzer wünschten sich weniger "Marktplatz" und mehr "Wohnzimmer".

Tatsächlich passiert ein wachsender Anteil der Kommunikation in sozialen Netzwerken außerhalb der Öffentlichkeit. Die Menschen ziehen sich immer stärker hinter digitale Einlassschranken zurück in das sogenannte "Dark Social". 2016 betrug dieser Anteil an der gesamten Social-Media-Nutzung bereits 84 Prozent.

Diese Tendenz möchte Facebook nun also weiter fördern. Daran zeigt sich, dass das soziale Netzwerk an der Idee einer digitalen Öffentlichkeit, für die es von Idealisten einst gefeiert wurde, kein Interesse mehr hat. Vielleicht sogar nie hatte. Eine freie Öffentlichkeit ohne freie Bürger ist schließlich nicht denkbar. Auf Facebook gehören sich die Nutzer allerdings nicht selbst. Ihre Daten, ihre Profile, in Teilen sogar die Nutzungsrechte an ihren Selfies, all das gehört, sobald es auf der Plattform erscheint, dem Unternehmen. Das soziale Netzwerk erschafft keine Bürger, die sich online begegnen, sondern "Nutzer" sozialer Interaktionen, die sich gegenseitig konsumieren und dabei entblößen, damit Facebook die aus der Entblößung gewonnenen Daten anschließend an Werbekunden verkaufen kann.

Nichts schaut man sich gebannter an, als eine Welt, die im Chaos versinkt

Eine Öffentlichkeit, in der man Fremden begegnet, ist da eher geschäftsschädigend. Am meisten geben die Leute nämlich über sich preis, wenn sie das Gefühl haben, unter sich zu sein. Um dieses Gefühl zu stärken, änderte Facebook bereits im vergangenen Jahr seinen Algorithmus. Der Newsfeed zeigte fortan häufiger das an, was enge Freunde posteten, aber weniger Inhalte, die sich an ein breites Publikum richteten. Damit dirigierte Facebook seine Nutzer hinter unsichtbare Mauern, um sie vor einer möglichen Stressquelle abzuschotten: Menschen mit anderen Meinungen. Oder objektiven Nachrichten. Das eliminiert das, was der Soziologe Bernhard Pörksen "Filterclash" nennt: die Irritation, mit fremden Lebenswelten konfrontiert zu werden. Pegida begann als private Gruppe. Was bedeutet diese Stammtischisierung für die digitale Öffentlichkeit, oder besser gefragt: für die Öffentlichkeit?

Natürlich existierten Stammtische schon, bevor Facebook sie ins Internet übersetzt hat. Daneben gab es aber immer auch einen öffentlichen Diskurs, der jenseits von ihnen stattfand. Facebook hat diesen Bereich, diesen Marktplatz der politischen Ideen den linearen Medien abgetrotzt, wenigstens in Teilen. Nun möchte es ihn wieder freigeben.

Allerdings werden die linearen Medien ihn nicht wieder einnehmen können, dafür sind ihre Strukturen immer noch zu analog. Ebenso wenig können wird das Twitter. Auch hier sind die Nutzerzahlen zu rückläufig. Instagram wiederum eignet sich für inhaltliche Diskussionen nur bedingt. Sie finden dort über Codes in Bildern statt, aber die sind fast immer mehrdeutig. Zur Not kann jeder darin erblicken, was sie oder er gern sehen möchte. Youtube? Aufwendige Videos zu produzieren, die wirklich jemand sehen will, ist für die meisten Menschen zu kompliziert und zeitraubend.

Wie aber müsste eine soziale Plattform beschaffen sein, auf der man sich gerne aktiv mit Fremden austauscht? Sie müsste erstens öffentlich-rechtlich sein; und zweitens trotzdem Spaß machen.

Darin muss gar kein Widerspruch bestehen. Es könnte tatsächlich sein, dass der implizit in sie hineinprogrammierte Gesellschaftsentwurf einer öffentlich-rechtlichen Plattform dazu führt, dass es dort angenehmer ist, mit fremden Menschen in Kontakt zu treten. Die politische Polarisierung, die aggressive Stimmung, die ständige Erregung um wechselnde Miniskandale, all diese Dinge sind keine Naturgesetze digitaler Öffentlichkeiten. Sie entstehen, weil die bestehenden Plattformen ihre Inhalte so sortieren, dass die Nutzer möglichst lange bleiben und dabei Werbung konsumieren. Was derzeit mit der politischen Landschaft im Netz passiert, ist so gesehen gar kein Fehler im System, sondern eine verdammt gute Show. Nichts schaut man sich gebannter an, als eine Welt, die im Chaos versinkt. Vor allem, wenn es die eigene Welt ist.

Andere Teile der Welt schaffen sich längst souveräne Öffentlichkeiten im Netz

Bei einem öffentlich-rechtlichen Algorithmus hingegen wären die Klicks und Interaktionen - also Kommentare, Shares und Likes - wohl nicht die einzigen Kriterien, die entscheiden, welche Inhalte in welcher Reihenfolge angezeigt werden. Auch Vielfalt und Ausgewogenheit könnten eine Rolle spielen. Nur so können Filterblasen verhindert werden.

Auf einer demokratischen sozialen Plattform, angesiedelt im öffentlich-rechtlichen System, ähnlich dem, was etwa der Politikberater Johannes Hillje, der Organisationstheoretiker Leonhard Dobusch oder der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm vorschlagen, könnte eine demokratische digitale Öffentlichkeit entstehen, die es in der Form noch gar nicht gibt. Und diese Öffentlichkeit müsste keine deutsche sein. Sie könnte in Kooperation mit den europäischen Partnern realisiert werden und damit zugleich etwas schaffen, das der EU bitterlich fehlt: eine europäische Öffentlichkeit, in der endlich alle miteinander, statt immer nur übereinander reden.

Andere Teile der Welt schaffen sich längst souveräne Öffentlichkeiten im Netz. Autoritäre Staaten tun das, indem sie der digitalen Fremdherrschaft durch Konzerne ihre eigenen Methoden entgegensetzen: Abschottung, Kontrolle, Manipulation, Geheimpolizei. Auch eine Demokratie muss Verantwortung für ihren digitalen öffentlichen Raum übernehmen. Aber nicht durch Verbieten und Verhindern, wie es bislang geschieht, sondern durch einen positiven Entwurf dessen, was sie ausmacht. Auf der Agora, dem öffentlichen Marktplatz von Athen, wurde einst die Demokratie begründet. Wie wäre es also mit einem digitalen Marktplatz, um sie wiederzubeleben?

Dafür müssten nicht mal alle Nutzer von den bestehenden Plattformen komplett auf ein solches öffentlich-rechtliches Netzwerk wechseln. Im Fernsehen existieren ebenfalls sowohl private als auch öffentlich-rechtliche Sender. Neben dem Marktplatz, auf dem sich die Menschen als Bürger treffen, kann es weiterhin Stammtische geben. Und Katzenfotos.

Ein Anreiz, sich auf diesen europäischen - eventuell entlang der politischen Verwaltungsebenen untergliederten - Marktplatz zu begeben, könnten Formen der Bürgerbeteiligung sein: Umfragen zu politischen Sachthemen, öffentliche Diskussionsformate oder eine Petitionsplattform. Auf europäischer Ebene sind Bürgerinitiativen per Software bereits rechtlich möglich. Außerdem wächst die Zahl der Bürger, die sich nun endlich berechtigte Sorgen um ihre Daten machen. Als Nutzer eines öffentlich-rechtlichen Netzwerks würden diese nicht mehr bei einem halbseidenen Konzern jenseits des Atlantik landen. Sie müssten aber auch nicht zwangsläufig in den Blackboxes irgendeiner Behörde verschwinden. Zumindest könnte dann mal öffentlich diskutiert werden, was mit ihnen eigentlich passieren soll. Im Augenblick stellt sich die Frage ja nicht mal.

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