Nachruf Teresa Berganza:Rose der Rosen

Nachruf Teresa Berganza: Teresa Berganza (1935 -2022).

Teresa Berganza (1935 -2022).

(Foto: imago/ZUMA Press)

Sie war eine der größten Sängerinnen des letzten Jahrhunderts, eine ganz dem Humanismus ergebene Künstlerin: Zum Tod von Teresa Berganza.

Von Reinhard J. Brembeck

Die Stimme ist dunkel, ruhig und voller Vision. Mit "Rosa das Rosas" singt Teresa Berganza, die Aufnahme ist fast 50 Jahre alt, ein mittelalterliches aber noch nach 800 Jahren unmittelbar anrührendes Marienlied. Der Philosophenkönig Alonso el Sabio, der Weise, hat es in einer Prachthandschrift aufschreiben lassen. Berganzas Stimme, phonogen wie wenige, genügt jedem Hörer, da braucht es keine Begleitung, die dunklen Töne leuchten und trösten: Erdverbundenheit kombiniert mit Visionen. 1935 wurde Teresa Berganza in Madrid geboren, sie studierte dort und debütierte dort, eine Weltkarriere schloss sich unmittelbar an - warum? Weil sich in Berganzas warmen, weichen und agilen Mezzosopran eine unendliche Humanität spiegelte, ein unsentimentales Mitgefühl mit all jenen Frauen, die sie auf die Bühne brachte und immer ganz als Frauen des späteren 20. Jahrhunderts beglaubigte: die in Liebesfragen emanzipierte Carmen, die ähnlich aufständischen Mädchen bei Gioachino Rossini, die in ihr Unglück und ihre noch unglücklichere Liebe versponnen Mélisande.

Wie die zwölf Jahre ältere Maria Callas verkörperte Berganza singend ein neues Frauenbild auf der Bühne, was schon im Nachkriegseuropa umwerfend wirkte, erst recht aber im Spanien des Mörderdiktators Franco. Manchmal wirkt es so, als wären Berganzas unspektakuläre, verträumte und um Selbstbestimmung kämpfende Frauen die direkten Vorgängerinnen der umso greller sich behauptenden Frauen bei Filmemacher Pedro Almodóvar, der dem katholisch-faschistischen Spanien zumindest ästhetisch den Todesstoß versetzte.

Lange Zeit wurden die für Mezzosopran geschriebenen Frauengestalten Rossinis und auch Georges Bizets Carmen von Sopranistinnen gesungen. Das war schmetternder, direkter, effektvoller. Erst nach und nach wurde diesen Rollen wieder Mezzosopranen anvertraut. Berganzas große Vorgängerin war Conchita Supervía, sie starb ein Jahr nach Berganzas Geburt. Supervía ist eine Urgewalt bei Rossini und als Carmen, wer ihre Aufnahmen auch nur einmal gehört hat, der ist für sein Leben gezeichnet, der glaubt die Perfektion auf Erden erlebt zu haben. Berganza aber ist völlig anders als Supervía und Callas. Nie zelebriert sie ihre Rollen wie Callas, nie dämonisiert sie wie Supervía. Sie humanisiert die Musik, sie singt völlig natürlich, unopernhaft.

Berganza stellte die Inhalte in den Vordergrund, nicht ihr immenses Können

So erweckt Berganza den Eindruck, als könne jede(r) "L'amour est un oiseaux rebelle" singen, das Lied vom rebellischen Liebesvogel klingt bei ihr so harmlos leicht wie ein Volkslied. Das ist natürlich ein Trick, den nur ganz ganz große Künstlerinnen beherrschen. Deshalb staunt niemand über das stupende technische Können Berganzas, sie gibt sich alle Mühe, es zu verbergen. Weil es ihr um Inhalte geht, um Musik als Trost, als Sprache der Seele, als Widerstand gegen die widerliche Wirklichkeit mit ihren Kriegen, Hungersnöten und Mobbing. Das gelingt Berganza völlig mühelos. Die Hörerin fühlt sich bei ihr immer geborgen.

Zudem war Teresa Berganza schon früh Europäerin. Ihr Mozart klingt nach Salzburg, ihr Bizet nach Paris, ihr Mussorgsky nach Petersburg. Das gelang ihr wohl deshalb, weil sie die spanische Musik genauer kannte als kaum eine andere. Sie sang nicht nur Alonso el Sabio, sondern auch die von dem Dichter Federico García Lorca gesammelten Volkslieder und viele Zarzuelas, diese Singspiele, die in der spanischsprechenden Welt in ihrer frechen Schlichtheit nach wie vor populär sind, während sie im Ausland immer nur auf Unverständnis stoßen.

Durch ihre Diskretion, ihre antiopernhafte Zartheit, ihre magische Direktheit vermied sie alles Klischeehafte, das mit Spanien geradezu zwanghaft einhergeht. Für Teresa Berganza war alles leicht. Zugleich kündete die von ihr gesungene Musik nicht nur von einem verlorenen Paradies, sondern auch von der Zuversicht, dass wir alle dieses Paradies einst wiederfinden werden. Und sei es auch nur in ihrem Gesang. Jetzt ist die Rose der Rosen mit 89 Jahren in der Nähe von Madrid gestorben.

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