Brechtfestival in Augsburg:Schnitzel statt Eintagsfliege

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Mit "Morgen wird auch ein schöner Tag, sagte die Eintagsfliege" startete das Brechtfestival, einem Abend mit Texten von Thomas Brasch. (Foto: Jan-Pieter Fuhr)

Zum letzten Mal kuratieren Jürgen Kuttner und Tom Kühnel das Brechtfestival in Augsburg - und setzen dabei auf internationale Impulse und den Dichter Thomas Brasch.

Von Yvonne Poppek, Augsburg

Thomas Brasch ist das Schnitzel, serviert in der Augsburger Brechtbühne. Die Zuschauer sind die Gäste. Und anders als in dem Dokumentarfilm von 1977 ist nicht der Fernsehjournalist Georg Stefan Troller der Kellner, sondern es sind die beiden künstlerischen Leiter des Brechtfestivals Jürgen Kuttner und Tom Kühnel. Sie haben sich den Dialog zwischen Brasch und Troller vorgenommen, in dem sich der Dichter als Schnitzel bezeichnet, quasi fernsehtauglich zubereitet, erwarteter Geschmack: Dissident. 25 Jahre nach der Aufzeichnung wirkt Braschs Analyse unglaublich klarsichtig. "Ich will nur, dass Sie nach sich selber schmecken", sagt Troller da. Brasch antwortet nach einer kurzen Pause: "Sagte der Menschenfresser."

Das Interview ist ein Puzzleteil unter vielen, das Kuttner und Kühnel herausgepickt haben für einen Abend über den in der DDR aufgewachsenen Schriftsteller, Übersetzer und Filmemacher, der in der Bundesrepublik ins Exil ging. "Morgen wird auch ein schöner Tag, sagte die Eintagsfliege" lautet der Titel für den Eröffnungsabend des Festivals. Brasch haben sie unter den Trümmern der Wiedervereinigung - wie Kuttner sagt - herausgezogen und ziemlich prominent platziert. Augsburg würdigt seinen großen Sohn Bert Brecht - und muss dafür den Kosmos um ihn herum ordentlich erweitern.

Dieses Jahr gilt das Motto "Worldwide Brecht"

Das ist typisch für Kuttner und Kühnel. Drei Ausgaben des Brechtfestivals haben die Berliner kuratiert. Gerade läuft die letzte, 2023 übernimmt für drei Jahre der Kulturanthropologe Julian Warner. Kuttners und Kühnels Zugriff auf Brecht besteht aus so vielen Kreuz- und Querverweisen, dass das Londoner U-Bahn-Netz übersichtlich wirkt. Das war vor allem vergangenes Jahr offensichtlich, bedingt durch die Pandemie ging des Festival ins Netz. 23 Digitalpremieren gab es zu sehen, Filme, gemacht für Augsburg, ausgestrahlt weltweit. Sogar die New York Times berichtete. Es ging um Brecht und die Frauen. Dass man da irgendwann auch beim Scum-Manifest landete, steht für die Durchlässigkeit, mit der das Duo an die Themen herangeht.

Dieses Jahr gilt das Motto "Worldwide Brecht", zusammengeschnürt für Liveveranstaltungen und Digitalformate. Dafür haben die Festivalleiter ihre Fühler ausgestreckt nach Peking, Tel Aviv, New York, Herat, auch mit Hilfe des Goethe Instituts. Fürs Digitale haben junge Künstler Videos entwickelt, zeigen, welche Bedeutung Brecht andernorts abgewonnen wird. Live kommen Inszenierungen aus Minsk und aus Lomé, wobei gerade die belarussische Gruppe Kupalaucy unter schwierigen Bedingen anreist, teils aus dem Exil. Ihre Version von Brechts "Furcht und Elend des Dritten Reiches" darf sie in Belarus nicht zeigen, sie hat sie ins Netz gestellt. Live soll sie in Augsburg Premiere haben.

Kuttners und Kühnels Konzept geht auf

Die eingeübte Perspektive auf Brecht verschiebt sich, sobald Impulse von außen kommen, das wird schon am ersten Festival-Wochenende deutlich. Kuttners und Kühnels Konzept geht wunderbar auf. Brecht ist da nicht der Quälgeist aus der Schullektüre, sondern ein inspirierender Dichter, wie etwa die Ausstellung im Textilmuseum zeigt, unter anderen mit der in New York lebenden Künstlerin Zoe Beloff. Von ihr ist ein großartiges, 40 Meter langes, mit Acryl gemaltes Panorama auf Pappkartontafeln zu sehen, Szenen aktueller amerikanischer Geschichte von der Wahl Donald Trumps über die "Black Lives Matter"-Bewegung bis zum Sturm aufs Kapitol. Brecht sei ihr Mitarbeiter, erklärt Beloff, die von ihm auch den Titel ihrer Arbeit entlehnt hat: Parade of the Old New. Daneben hängen Collagen der Autorin und Bayerischen Buchpreisträgerin Emine Sevgi Özdamar. In Brecht habe sie ein "Sanatorium für ihre Wörter" gefunden, als sie nach dem türkischen Militärputsch eines brauchte, sagt sie. Doch Özdamar ist nicht nur wegen Brecht in Augsburg, sondern sie ist auch eine der Querverbindungen zu dem anderen großen Schwerpunkt: Ihre Collagen entstanden für Brasch-Inszenierungen in Berlin und Bochum.

Nahaufnahme: Mit einem Abend über den Dichter Thomas Brasch wurde das diesjährige Brechtfestival eröffnet. (Foto: Jan-Pieter Fuhr)

Und wie passt Brasch zum Thema "Worldwide Brecht"? Gar nicht, sagt Kuttner. Sie seien schließlich keine Motto-Fetischisten. Brasch, kurzzeitiger Schützling von Helene Weigel, steht für das Leitungsduo in geistiger Verbindung zu Brecht. Was sie allerdings vorrangig interessiert, ist der Dichter und Filmemacher, das Enfant terrible, der Mann, der die DDR nicht verlassen wollte, sondern musste, der Autor, der mit dem Fall der Mauer sein Lebensthema verlor. "... wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber / wo ich sterbe, da will ich nicht hin: / Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin", schrieb Brasch.

In ihrer Inszenierung haben Kuttner und Kühnel nun den Spagat geschafft, die Biografie des Dichters auf sinnliche Weise mit seinem Werk zu verbinden. In einem kleinen weißen Kubus reihen fünf in Pierrot-Kostümen steckende Schauspieler (Natalie Hünig, Christina Jung, Paul Langemann, Sebastian Müller-Stahl, Pascal Riedel) in irrwitziger Frequenz Theatertexte, historische Filmsequenzen, Gedichte, Briefe aneinander, mal verfremdet, mal poetisch aufgeladen. Sie halten das Tempo hoch, pflügen durch Braschs widerständiges Werk. Am Ende lässt sich feststellen: Das Schnitzel schmeckt.

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