Gräfelfing:Platz für einen Schatz

Ein halbes Leben lang hat Georg Salzmann für seine "Bibliothek der verbrannten Bücher" gesammelt. Der größte Teil dieses wertvollen Erbes ist nun in Augsburg zu Hause - und ein Teil in Himmelpfort

Von Annette Jäger

Himmelpfort. Dort richtet die Post jedes Jahr eine Weihnachtsfiliale ein, für Wunschbriefe. In dem kleinen Erholungsort im nördlichen Brandenburg aber findet man auch rund 5000 Bücher von Autoren, die von den Nazis verfemt, verfolgt und auch ins Exil getrieben worden, deren Werke verbrannt worden sind. Man kann sich gut vorstellen, dass sich der leidenschaftliche Sammler Georg Salzmann, der 2013 im Gräfelfinger Ortsteil Lochham gestorben ist, darüber freuen würde, dass seine Bücher an dem Ort mit dem himmlischen Namen weiterleben.

Georg Salzmann in seiner Bibliothek, 2001

Umgeben von seinen Büchern, viele davon Erstausgaben: Die Sammlung des 2013 verstorbenen Gräfelfingers Georg Salzmann wuchs und wuchs und dehnte sich vom Keller über die Treppen ins Arbeitszimmer und sogar in die Küche seines Einfamilienhauses aus.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Mehr als 40 Jahre lang hat Salzmann seine Schätze zusammengetragen. Sein Interesse für die geächteten Bücher weckte kurz nach dem Krieg die Lektüre eines Werks von Lion Feuchtwanger. Doch erst in den 1970er-Jahren fing er an, gezielt zu sammeln. Seine Fundstücke lagerte der 1929 geborene Finanzkaufmann im Einfamilienhaus in Gräfelfing, im Würmtal, wo er seit 1989 lebte, stapelweise, erst im Keller, dann im ganzen Haus. In der Küche. Auf jeder Treppenstufe. Im Laufe der Jahrzehnte wuchs so die einzigartige "Bibliothek der verbrannten Bücher" - weitgehend das Gesamtwerk der 1933 bis 1945 verbotenen deutschsprachigen Autoren in Erstausgaben.

Arno und Petra Sommer , Erben von Georg Salzmann, Bibliothek

Gespräche übers Schreiben: Dazu laden Salzmanns Tochter Petra und ihr Mann Arno Sommer gerne Gäste auf ihr rotes Sofa ein.

(Foto: Privat)

Salzmanns Heimatgemeinde hätte die einzigartige Sammlung gerne am Ort behalten, hätte dafür das alte Schul- und Rathaus zur Verfügung gestellt. Doch den Ankauf der auf 800 000 Euro veranschlagten Sammlung konnte sie sich nicht leisten. Das weltweit größte Online-Antiquariat ZVAB gab ein, weit darunterliegendes, Angebot ab; Augsburg und Nürnberg zeigten sich interessiert. In der Augsburger Universitätsbibliothek ist der größte Teil der Sammlung nun seit 2009 zu Hause und öffentlich zugänglich. Das Herzstück bildet das fast lückenlose Gesamtwerk von Stefan Zweig. Doch die Geschichte der Bibliothek der verbrannten Bücher ist damit noch nicht zu Ende erzählt, mit Himmelpfort schlägt sich ein weiteres Kapitel auf.

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Arno Sommer, der Schwiegersohn von Georg Salzmann, hat mit Ehefrau Petra gemeinsam mit dem büchersammelnden Schwiegervater im Gräfelfinger Haus gelebt, ein Haus, dessen Statik unter der Last der Bücher schon nachzugeben drohte. Darüber habe der Schwiegervater immer "Witzchen" gemacht, berichtet Sommer, "das war aber eher ernst zu nehmen". Eigentlich hatten die drei den Plan, gemeinsam nach Himmelpfort zu ziehen, in das reetgedeckte Haus am See, das die Sommers gefunden hatten. Aber der Schwiegervater, inzwischen aufgrund eines Unfalls stark bewegungseingeschränkt, entschied sich dann doch, in Lochham zu bleiben. Er brauchte seine Antiquariate um sich, "ich bin Sammler", habe er gesagt. Er zog ins Alten- und Pflegeheim Rudolf und Maria Gunst-Haus in Lochham um - mit 32 Kartons voller Bücher übrigens.

Viel Stoff zum Forschen

Auch in Augsburg gibt es, zehn Jahre nach Ankauf der Salzmann-Sammlung durch die dortige Universitätsbibliothek, ein Fortsetzungskapitel, genauer gesagt sind es zwölf. Sie sind gebündelt in dem im Februar dieses Jahres im Allitera-Verlag erschienen Buch "Die Bibliothek der verbrannten Bücher". Das Werk, das Augsburger Wissenschaftler und die Universitätsbibliothek - Dr. Ulrich Hohoff, Leiter der Bibliothek, ist einer der drei Herausgeber - gemeinsam erarbeitet haben, gibt einen Überblick über die Salzmann-Sammlung und was an Forschungspotenzial in ihr steckt. Das hochwertig gestaltete Buch enthält neben einem Porträt über den Sammler und einem Beitrag über die wichtigsten Autoren der Sammlung und acht Fachbeiträgen zahlreiche Fotos der Originalwerke, aber auch von Notizzetteln und Rechnungsbelegen von Salzmanns Einkäufen. Das Buch lädt ein, sich mit dem Inhalt der Sammlerstücke auseinanderzusetzen. Gegen das Vergessen. jae

Andrea Voß, Gerhard Stumpf, Ulrich Hohoff (Hrsg.): Die Bibliothek der verbrannten Bücher. München 2019.

Mit dem Umzug musste das Haus leer geräumt werden, der Restbestand von gut 10 000 Büchern zog in einem 7,5-Tonner-Lkw in 500 Umzugskisten mit nach Brandenburg. Das war, sagt Arno Sommer, der "Beifang". Er erzählt, wie Georg Salzmann von seinen frühmorgendlichen Flohmarktausflügen zurückkam, in jeder Hand einen Beutel. In dem einen waren die kostbaren Fundstücke, die Erstausgaben der einst verbotenen Werke. In dem anderen war der "Beifang", wie er es selbst nannte: teilweise dieselben Bücher, aber keine Erstausgaben, und auch Sachbücher, Kataloge, Sekundärliteratur. Über die Jahrzehnte hinweg kam so eine weitere Sammlung zustande - seine persönliche Auswahl interessanter literarischer, politischer, philosophischer Werke des 20. Jahrhunderts.

Doch wo Tausende Bücher im neuen Haus unterbringen? Die Sommers lernten in Himmelpfort den Eigentümer der alten Mühle kennen, die zu DDR-Zeiten ein Kinderheim war und heute Gästezimmer für Feriengäste anbietet. Die Mühle sollte auch ein Ort kultureller Begegnung werden, und so fanden die Salzmann-Bücher hier in drei Räumen ihren Platz, eine Art Zweigstelle der Augsburger Bibliothek. Zuvor knöpften sich Arno und Petra Sommer jedoch den Kisteninhalt vor und trennten "Spreu von Weizen", wie Arno Sommer erzählt. Was übrig blieb, rund 5000 Werke, haben sie in die Sparten Literatur, Zeitgeschichte und Kunst unterteilt und in einfache Holzregale einsortiert. Ausstellungskataloge expressionistischer Kunstausstellungen sind zu finden, Sachbücher und Schriften über Weimar, die NS-Zeit und die Nachkriegsjahre, Künstlerbiografien, Werke von Walther Rathenau oder über Emil Nolde. Ein Schatz sind für Sommer die zum Teil über 100 Jahre alten Almanache des Insel-Verlages, "das sind wunderschöne Bücher". Eine Herausforderung war die Frage, wie sie mit Werken aus der Nazizeit umgehen sollten, die unter dem Regime nicht verboten waren. "Sind wichtig, als Dokumentation", sagt Arno Sommer. Sie haben sie schließlich ins Regal sortiert, aber daneben Sekundärliteratur platziert, sodass die Werke eingeordnet werden können.

Arno Sommer macht kein Hehl daraus, dass das Interesse der Landbewohner an der für jedermann zugänglichen Salzmann-Bibliothek, die seit 2015 geöffnet ist, nur "leidlich" ist. So kam die Idee auf, ein literarisches Rahmenprogramm zu veranstalten. Unter dem Motto "Das Rote Sofa" laden die Sommers im Namen der Salzmann-Bibliothek seit Herbst 2017 Autoren auf ihr orientalisch anmutendes Sofa in die Mühle ein, und Arno Sommer plaudert mit ihnen über ihr Werk und die Mühen des Schreibens. Dazu gibt es Lesungen und Musik. Die Gäste wählt Petra Sommer aus, die nach 30 Jahren beruflicher Tätigkeit in einem Münchner Verlag auf gute Autorenkontakte zurückgreifen kann. "Das ist ein riesiger Erfolg", sagt Sommer, jedes Mal kämen zwischen 70 und 100 Besucher. Auf dem roten Sofa saßen schon Caroline Link und Harald Martenstein.

Zu Ende erzählt ist die Geschichte der Salzmann-Sammlung damit immer noch nicht. Noch etwa 1000 Werke, die keinen Platz mehr in der Mühle gefunden haben, lagern in Kisten. Illustrierte Bücher des 20. Jahrhunderts, Heftchen, Mappen, gezeichnete Blätter, zum Teil sehr wertvolle Werke großer Illustratoren, sagt Sommer. Vielleicht findet sich irgendwann auch für diese letzten Schätze noch ein Platz.

In dieser Stadtviertel-Serie geht es um Menschen, Dinge oder Projekte, über die einst viel geredet wurde, die aber danach aus dem Blick gerieten. Sie werden nun erneut in den Fokus gerückt.

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