Egon Bahr wird 90:Er hat bekommen, was er ersehnt hat

Er galt als scharfzüngig und wurde selbst als "Kommunistenfreund" geschmäht, wegen seiner Annäherungspolitik an den Osten: der Sozialdemokrat Egon Bahr. An den Sturz der SED hat er lange nicht geglaubt - und sich doch gern von der Geschichte überholen lassen. An diesem Sonntag wird Bahr 90 Jahre alt.

Joachim Käppner

Wer kann das, im Spätherbst eines langen Lebens als Politiker, schon guten Gewissens von sich sagen: "Ich habe mit allem, was geschehen ist, das erreicht, was ich wollte." Für den Sozialdemokraten Egon Bahr, 1922 geboren im thüringischen Treffurt, trifft es zu.

Egon Bahr wird 90

Ein kluger Patriot: Egon Bahr wird 90.

(Foto: dpa)

Stolz und ein kräftiges Selbstbewusstsein sind ihm keinesfalls fremd, und doch ist der gelernte Journalist nicht der Typus des Politveteranen, der seine Bilanz durch das milde Abendlicht der Verklärung beschönigen wollte. Er hat bekommen, was er ersehnt hat und was im Mittelpunkt seines Wirkens stand: die deutsche Einheit.

Wer viele aus der Union vor gut 40 Jahren über den "Spalter" und "Kommunistenfreund" toben hörte, hätte freilich glauben können, den Erzfeind dieser Einheit in Bahr verkörpert zu sehen. Das war schändlich - und falsch. Egon Bahr war und ist ein kluger Patriot.

Das Jahr 1961, der Bau der Mauer, ein geteiltes Land, eine aufgewühlte Bundesrepublik. Egon Bahr, damals Senatssprecher in Berlin, ist ein Mann von kühlem Intellekt. Ihm ist klar: Die Welt hat die deutsche Teilung akzeptiert. Es ist das Ende der Illusion, die USA oder der Kreml, Himmel oder Hölle brächten die Einheit irgendwie zurück.

Graue Eminenz der Ostpolitik

So entstand der Grundgedanke der Entspannungspolitik, der "Wandel durch Annäherung", ein Begriff, der ebenso von Bahr stammt wie der Satz: "Niemand weiß, welche Zukunft die deutsche Nation hat. Aber damit sie eine haben kann, dazu brauchen wir diesen Grundvertrag." Das Vertragswerk mit der DDR von 1972 war der große Durchbruch in den innerdeutschen Beziehungen.

Er galt als scharfzüngig, als graue Eminenz der neuen Ostpolitik, als "Tricky Egon", der einflussreichste Berater des Kanzlers Willy Brandt. Obwohl er 1989 bis zuletzt nicht glauben mochte, dass die SED stürzen würde, hat er sich gern von der Geschichte überholen lassen.

Heute lebt er in Berlin, ein wachsamer Beobachter der neuen Zeit, und bei gelegentlichen Auftritten zieht er noch immer ganze Säle in den Bann seiner Beredsamkeit. An diesem Sonntag wird Egon Bahr 90 Jahre alt.

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